Die Welt ist auf die Burg gekommen

Neuerburg · Ein Jahr wollten sie auf Burg Neuerburg bleiben. 28 sind es geworden. Als Herbergseltern haben Elisabeth und Reinhard Hallwachs ihr Herz an die Burg verloren und die dortige Jugendherberge mit Flair gefüllt. 10 000 Übernachtungen pro Saison haben die beiden jedes Jahr gestemmt. Nun wollen sie kürzer treten und verlassen die Burg zum Jahresende.

Neuerburg. "Herzlichen Dank, viel Glück für die Zukunft" sagen bunte Buchstaben, die Kinder auf ein breit gespanntes Tuch gemalt und im Hof der Jugendherberge Burg Neuerburg aufgehängt haben. Die Worte haben sie an Elisabeth Dichter-Hallwachs und ihren Mann Reinhard gerichtet. Seit 28 Jahren sind sie die Herbergseltern auf Burg Neuerburg. Aber Ende des Jahres quittieren sie ihren Dienst. Schweren Herzens. Doch nach fast drei Jahrzehnten im Dauereinsatz fühlen die 58-Jährige und der 63-Jährige, dass es an der Zeit ist, den täglichen 15-Stundenbetrieb gegen mehr freie Zeit einzutauschen.
Sprung ins kalte Wasser


Als 1983 per Zeitungsinserat Herbergseltern für die Jugendherberge auf der Burg gesucht wurden, sind sie ins kalte Wasser gesprungen. Zwar in Gilzem aufgewachsen, war Elisabeth Dichter-Hallwachs inzwischen das Großstadtleben gewöhnt und arbeitete als Sozialarbeiterin. Ihr Mann, der aus Kassel stammt, war Lehrer für Deutsch und Erdkunde. Zwei stadtgewohnte Akademiker im ländlich abgeschiedenen Jugendherbergsbetrieb?
Es sei Fügung gewesen, erklären sie ihre Entscheidung für die Burg, die ihnen anfangs "viel zu groß und zu grau" vorkam. Um das zu ändern, haben sie bergeweise Schutt aus den Gewölben geräumt, um sie mit Leben füllen zu können, und die Mauern mit Blumenbeeten gesäumt. Einsam war es nie. "Die Welt kam zu uns", sagen die beiden.
Elisabeth Hallwachs kocht nicht nur täglich für 80 Leute, putzt und wäscht die Bettwäsche in Dutzenden, sie hat auch den Anspruch, den jugendlichen Gästen etwas von ihrer Lebenseinstellung mitzugeben: Auf der Burg weht die "Pace"-Fahne, auf allen Tischen, ob drinnen oder draußen, stehen frische Blumen, es gibt Biokost aus regionalen und fair gehandelten Produkten, meist vegetarisch. "Wir machen es schön, damit Kinder lernen, behutsam mit den Dingen umzugehen", sagt die gelernte Sozialarbeiterin und betont, dass ihr Konzept Erfolg hat.
Eigenwillige Architektur


Den Erzieher hat auch ihr Mann, der an allen Ecken und Enden immer etwas zu reparieren hat, nicht abgelegt. An der Burgmauer hat er eine Kletterwand einbauen lassen und gibt den Gästen Kletterunterricht. Er stellt archäologische Fundstücke aus und führt mit historischem Sachverstand durch die Burg. Ganz so, dass die Geschichte fühlbar wird. "Das Mittelalter war nur für wenige schön, für die meisten erbärmlich", erzählt er den Kindern und führt sie in das Burgverlies, wo das Grauen die Sinne noch umfängt. Es ist kalt, feucht, stockdunkel. Nur eine winzige Öffnung im Felsgestein lässt einen Hauch frische Luft hinein.
Mehr ist von den Schrecken des Mittelalters nicht übrig geblieben. Windräder drehen sich im Innenhof, ein Teich und ein Grillplatz laden zum Verweilen ein. Pilger, die auf dem Jakobsweg unterwegs sind, sitzen an den Tischen und genießen die Aussicht. Den hinteren Ruinenbereich haben die beiden mit Spielmöglichkeiten ausgestattet. Dort, wo früher die Geschütze standen, haben sie Tische und Bänke aufgestellt, an denen Jugendgruppen malen, töpfern und basteln. Ihre Burg soll freundlich sein. Daher haben sie auch in die einzige Ritterrüstung einen Pappmaschee-Ritter gesteckt, der einen Kuss aus dem Visier schickt.
Wenn Elisabeth Hallwachs durch die Burg läuft, hat sie außer dem Staubtuch immer Block und Stift in der Schürze, um zu vermerken, wo etwas auszubessern ist. Dabei fallen ihre aufmerksamen Blicke voller Entzücken auf die eigenwilligen Elemente einer Architektur, die keinen Wert auf geometrische Genauigkeit legt. "Hier ist alles krumm und schief", freut sie sich, "und trotzdem stört nichts". Wie sich die Burg organisch in den Fels einfügt, entspricht ihrem Bedürfnis, in Harmonie mit der Natur zu leben. "Jeder Stein ist von Hand bearbeitet, man erkennt die Spuren, die Menschen an ihnen hinterlassen haben. Das berührt meine Seele", erklärt sie ihre tiefe Verbundenheit mit der Burg.
Nachdem ihre eigenen vier Kinder die Burg verlassen haben, sehen die Herbergseltern den Zeitpunkt auch für sich gekommen.
Für Führungen und Kletterkurse kommen sie wieder. Und 16 Gästebücher voller schwärmerischer Einträge aus fast drei Jahrzehnten nehmen sie mit.
Die Burg stammt in ihren ältesten Teilen aus dem 12. Jahrhundert, ihr Grundriss wurde im 16. und 18. Jahrhundert erweitert. 1692 wurde die Festungsanlage durch französische Truppen zerstört, 1701 in Teilen wieder aufgebaut. Heute besteht sie aus einem Nebeneinander von bewohntem Teil und Ruine. Seit 1818 ist die Burg im Besitz der Stadt, 1930 pachtete der Bund Neudeutschland (ND) die Burg. Nach der Enteignung durch die Nationalsozialisten 1939 übernahm der ND die Trägerschaft nach dem Krieg erneut und nutzt die Burg seitdem wieder als Jugendherberge. Kontakt: Jugendburg Neuerburg, 54673 Neuerburg, Telefon 06564/2187. E-Mail: info@jugendburg-neuerburg.de sys

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