Gehen, doch sein wie ein Baum

Der Volksmund sagt: "Einen alten Baum verpflanzt man nicht." Eine Weisheit, die sich auf den Menschen übertragen lässt. Auch wir entwickeln Wurzeln, aus denen heraus wir Kraft schöpfen und die uns Halt geben.

Und mit fortschreitendem Lebensalter kann es sich durchaus problematisch gestalten, uns in ein neues Umfeld einzubetten. Wahrscheinlich ist jedoch nicht einzig das Lebensalter der ausschlaggebende Faktor. Auch die Mentalität, das Wesen einer Person, ist zu beachten, wenn es darum geht, die Chancen einzuschätzen, ob sie an einem neuen Standort Fuß fasst, sich beheimatet fühlt.

Wenn ich auf mein letztes Lebensjahrzehnt blicke, dann stellte sich dort für mich einige Male die Frage, wie es gelingen kann, den Ort zu verlassen, an dem ich von klein auf spüren durfte, was uns Menschen Heimat bedeutet. Sich aufgehoben und geborgen fühlen, von Liebe und Vertrauen umfangen sein, Auseinandersetzung und Versöhnung erfahren - all diese Aspekte verbinde ich mit meinem Elternhaus.

Welche Lebenshaltung ermöglicht es uns, einerseits Heimat zu bewahren und andererseits Veränderungen anzunehmen, die berufliche wie private Ursachen haben können?

Ein Text von Hilde Domin gibt eine kreative Antwort.

"Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum: als zöge die Landschaft und wir ständen fest. Man muss den Atem anhalten, bis der Wind nachlässt und die fremde Luft um uns zu kreisen beginnt, bis das Spiel von Licht und Schatten, von Grün und Blau, die alten Muster zeigt und wir zu Hause sind, wo es auch sei, und niedersitzen können und uns anlehnen, als sei es an das Grab unserer Mutter."

Judith Honrath ist Pastoralreferentin im Dekanat Bernkastel-Kues

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