Videospiele Schnapp sie dir alle: Auf Pokémon-Pirsch im Stadtpark

Wittlich/Bitburg · „Pokémon Go“ heißt die App, die diese Woche nach Japan und den USA auch Deutschland im Sturm erobert hat. Die TV-Redaktionsmitglieder Adrian Froschauer und Jonas Krewel wollen dem enormen Hype auf den Grund gehen und begeben sich auf Pokémon-Safari durch Wittlich und Bitburg.

 Ein Habitak in seinem Habitat, dem Bitburger Spittel, wartet darauf, eingefangen zu werden. TV-Foto: J. Krewel

Ein Habitak in seinem Habitat, dem Bitburger Spittel, wartet darauf, eingefangen zu werden. TV-Foto: J. Krewel

Foto: (m_mo )

Dem Pokémon-Hype war TV-Redaktionsmitglied Adrian Froschauer (26) schon in der Grundschule hilflos ausgeliefert. Sein erstes Gameboy-Spiel war die gelbe Pokémon-Edition, er tauschte in der Schule eifrig Sammelkarten, den ersten Film sah er bei einem Kindergeburtstag im Kino. In Wittlich will er herausfinden, warum Pikachu & Co. plötzlich wieder in aller Hände sind.

Ich laufe mit gesenktem Haupt, den Blick am Smartphone klebend, durch Wittlich. Das wollte ich mir eigentlich nie angewöhnen. Doch ich chatte oder surfe nicht – ich bin auf Pokémon-Jagd! Auf einer stilisierten Karte von Wittlich folgt ein kleiner 3D-Avatar anhand von GPS-Daten meinen Bewegungen durch die reale Säubrennerstadt. Der Brunnen am Platz an der Lieser ist ein sogenannter Pokéstop, die Markuskirche eine Arena. Ob die Kirchgänger ahnen, dass um sie herum regelmäßig virtuelle Kämpfe toben?

Kaum bin ich zehn Minuten unterwegs, schon habe ich ein Hornliu, ein Bluzuk und ein Traumato gefangen. Ein wenig nostalgisch stimmt das schon. Doch die interessanteste Spezies sind die Pokémon-Go-Spieler selbst. Kurz nach der deutschen Veröffentlichung des Spiels sind in der ganzen Stadt kryptische Sätze zu hören wie „Geil, ich hab ’nen Meisterball bekommen“ oder „Mist, schon wieder nur’n Hornliu“.

 Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Foto: (m_mo )

„Halt, stopp!“ Ich blicke auf. Drei Jugendliche bleiben plötzlich vor mir stehen. Einer von ihnen, Kevin Eis, hält aufgeregt ein Smartphone in die Luft. „Hier ist ein Taubsi“, ruft er. „Ich fang schon mein fünftes Taubsi“, gibt David Nabert unbeeindruckt zurück. Sie sind 18 Jahre alt und kommen gerade aus der Schule. Auf dem Heimweg machen sie den einen oder anderen Umweg. „Das Prinzip ist genial, weil man die ganze Zeit in Bewegung bleibt“, erklärt David, der schon als Kind Pokémon-Karten sammelte. Kevin hat das Spiel nur aus Neugier heruntergeladen. „Aber jetzt bin ich süchtig.“ Die Dritte im Bunde, Nina Weber, scheint nicht so begeistert. Wurde sie mitgeschleppt? „Das ist mein Handy“, sagt sie und zeigt lachend auf das Telefon in Kevins Hand.

Ich setze meine Safari fort. Die Brücke am Rommelsbach-Parkplatz wirkt vielversprechend. Gleich drei Pokéstops, an denen Spieler Bonus-Gegenstände erhalten, sind hier markiert. Alexander Groß und Calvin Lütticken decken sich gerade mit frischen Pokébällen ein. Die beiden 20-Jährigen kennen sich aus: „Das ist einer der besten Plätze in Wittlich. Hier hat man nicht nur drei Pokéstops auf einem Haufen, sondern findet auch Wasser-, Stein- und Pflanzen-Pokémon.“ Das Spiel macht ihnen zwar Spaß, aber sie sind überzeugt, dass der Hype nur eine oder zwei Wochen anhält. Heißt das, sie sind immun gegen die Sammelsucht? Sie lachen. „Ich bin diese Nacht um vier Uhr heimgekommen“, sagt Lütticken. Groß fügt hinzu: „Wir sind gestern zehn Kilometer gelaufen.“

Am wichtigsten sei der soziale Aspekt des Spiels. „Alleine macht es einfach nicht so viel Spaß wie in einer Gruppe“, erklärt Groß. Zu Top-Zeiten habe er schon mehr als 30 andere Spieler im Stadtpark getroffen. „Aber richtig los geht es erst so um fünf, sechs Uhr“, erklärt Lütticken. „Die meisten Spieler haben ja alle ’nen Job.“ Tatsächlich sind es vor allem Berufstätige und Studenten zwischen 20 und 30, die in Wittlich auf Monsterjagd sind. Natürlich – schließlich ist es diese Generation, die bereits den ersten Pokémon-Hype Ende der 1990er Jahre mitmachte. Der Nostalgie-Faktor wird bewusst bedient: Bisher sind nur die 151 „klassischen“ Pokémon der ersten Auflage in der App enthalten.

 Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Foto: klaus kimmling (m_wil )

„Pokémon Go“ bewirkt eine seltsame Vergemeinschaftung bei dieser Generation. Ohne Probleme komme ich mit wildfremden Menschen ins Gespräch. Auf dem Weg in den Stadtpark kommt mir ein Pärchen entgegen, mit der einen Hand Händchen haltend, in der anderen das Smartphone. Die beiden sehen mein Handy, grinsen wissend und nicken mir zu. Ein anderer Mann sprintet an mir vorbei, bemerkt meinen fragenden Blick und ruft außer Atem: „Ich glaube, da hinten ist ein Zapdos!“ Er weiß, dass das als Erklärung reicht. So werden Millionen Menschen zu einem eingeschworenen Haufen.

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal einen Spaziergang durch einen Park unternommen habe. „Pokémon Go“ hat mich endlich wieder dazu bewegt. Als angenehmen Nebeneffekt kann ich ein Enton mein Eigen nennen. Das ist zwar nicht selten, sieht aber so herrlich dämlich aus, dass es schon immer mein Lieblings-Pokémon war.

 Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Foto: (m_mo )

TV-Redaktionsmitglied Jonas Krewel (27) ist in seiner Jugend erst auf den Pokémon-Zug aufgesprungen, als dieser fast schon wieder abgefahren war. Weder kennt er sich gut mit den kleinen japanischen Monstern aus, noch kann er den Enthusiasmus für sie nachvollziehen. Einmal mehr betritt er Neuland. Doch ist er diesmal zumindest früh genug dran, um sich in Bitburg eventuell noch begeistern zu lassen.

Ich stehe in der Innenstadt und starte die App. Keine fünf Sekunden dauert es, bis das erste Pokémon auf der virtuellen Karte angezeigt wird. Ich schalte die Kamera ein, und da steht es, direkt vor mir: das Start-Pokémon, wie mir ein Bitburger Berufsschüler auf der Straße noch erklären soll.

Zuvor habe ich natürlich sämtliche Rechte zur Nutzung meiner Daten an die Herausgeber abgetreten. Aber sei’s drum. Hauptsache, vor mir steht Glumanda, ein Feuerpokémon, und es macht den Eindruck, als würde es nur darauf warten, von mir gefangen zu werden. Doch ich bin überfordert: Ständig werfe ich einen rot-weißen Ball auf das freundlich dreinblickende – irgendwie niedliche – Geschöpf, aber der Pokéball, wie er im Fachjargon heißt, öffnet sich nie. Ich zweifele an meiner Intelligenz. Meine Kollegen lachen schon und machen Druck: „Fang es doch endlich!“ Ich wirbele wild mit meinem Handy herum, mein Puls steigt, ich will nicht, dass es gleich schon wieder verschwindet: Eventuell hätte ich dann schon verloren, werde für immer des Internets verwiesen oder Ähnliches. Aber dann: der entscheidende Wurf.

 Alle erliegen dem Pokémon-Fieber – ob Schüler aus Wittlich (oben) oder Berufsschüler der Bitburger Theobald-Simon-Schule. Ständig auf der Jagd, doch wo kein Smartphone, da kein Pokémon. TV-Fotos (2): K. Kimmling/J. Krewel

Alle erliegen dem Pokémon-Fieber – ob Schüler aus Wittlich (oben) oder Berufsschüler der Bitburger Theobald-Simon-Schule. Ständig auf der Jagd, doch wo kein Smartphone, da kein Pokémon. TV-Fotos (2): K. Kimmling/J. Krewel

Foto: (m_mo )

Ich musste den Ball dem freundlichen Wesen erst an den Kopf werfen, damit er sich auch öffnet. Endlich habe ich es. Und ich freue mich darüber, bis sich auf meinem Bildschirm nichts mehr tut – „kein GPS-Signal empfangbar“. Sensationell: Glumanda hat mein Handy lahmgelegt. Nicht entmutigen lassen, ich mache mich auf den Weg in die Bitburger Fußgängerzone, um weitere virtuelle Monster einzufangen – so viele wie möglich. Schließlich ist das das Ziel des Spiels. Ich schaue mich um und sehe Kinder, Teenager und Erwachsene, die wie gefesselt auf ihr Handy starren – im Laufschritt –, es bisweilen als Kompass durch die Gegend tragen. Mich selbst erwische ich auch dabei. Denn ich erhalte ständig Signale, mein Handy vibriert: Am Ziegenbrunnen etwa hält sich ein Taubsi auf. Top: eingefangen. Diesmal hat es sogar nur sechs Versuche gebraucht.

Um mich herum nehme ich amüsierte, aber auch irritierte Blicke wahr: Einige Passanten ahnen schon, was ich da gerade versuche, andere denken, ich hab sie nicht mehr alle. Dabei will ich sie doch alle haben – die Pokémon, meine ich.

Wenige Meter weiter: ein Zubat. Wow. Zwei Flug-Pokémon innerhalb weniger Minuten. Ich bin stolz auch mich, glaube zumindest, das sein zu können. Allerdings weiß ich nicht, was ich jetzt mit den drei Kreaturen anfangen soll. Lasse ich sie einfach wieder frei? Eigentlich haben sie mir doch nichts getan. Geht das überhaupt? Keinen Schimmer. Nach Sinn und Zweck frage ich eine Gruppe Berufsschüler, die alle (!) dem gleichen Trend frönen.

 Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Foto: (m_mo )

Jan (19) aus Trimport hat schon 99 Stück, „aber auch ein paar doppelt“, sagt er. „Wenn sie stark sind, behalte ich sie. Die schwächeren schmeiße ich gerne in die Arena, damit ich Gold kriege, wenn nicht wieder meine 20 Stunden abgelaufen sind.“ Ich gucke ihn an wie ein Auto – kein Wort verstanden. „Na ja, schau, Du kannst in Arenen gegen andere Spieler kämpfen. Dann bekommst du Gold und kannst dir damit im Shop etwas kaufen – Pokébälle zum Beispiel.“

Ich merke, ich bin noch lange kein Profi. Ganz im Gegensatz zu Alina (20) aus Bitburg. Mit ihr rede ich fast zehn Minuten über den Pokémon-Hype, der eigentlich schon Jahre zurückliegt, durch das Spiel aber wieder losgetreten wurde. „Du gehst einfach raus, bewegst Dich dabei und triffst auf einmal Leute, die auch spielen, und dann fängst Du an zu lachen, kommst mit den Menschen ins Gespräch. Das ist irgendwie schön. Wir suchen grade Magneton, der hier irgendwo sein soll.“ Langsam wird mir klar: Die in vergangenen Jahren immer wichtiger gewordene soziale Komponente bei allem virtuellen Schnickschnack spielt auch hier die entscheidende Rolle. „Klar,“ sagt Alina. „Du kannst Deine Pokémon auch weitergeben. Und je öfter Du bei Kämpfen gewinnst, desto mehr WP-Punkte kriegst du – und Staub. Staub ist wichtig. Damit kannst du deine Pokémon aufwerten.“ Erneut fragende Blicke meinerseits. Ich hake nach, aber die Erklärung ufert aus. Der reinste Pokémon-Informations-Overload.

 Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Glumanda ist eines der möglichen Start-Pokémon. Zubat taucht unter anderem vor einer Bonita-Filiale in Bitburg auf, Nebulak vor der Markuskirche in Wittlich. Mitten im Wittlicher Stadtpark ist eine Arena.

Foto: (m_mo )

Als mir ein Beagle vor die Linse läuft, will ich fast schon einen Pokéball werfen. Da entscheide ich, mein Handy wieder einzustecken und mein Leben doch lieber ohne kleine Monster an jeder Straßenecke zu fristen.

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