Big Brother beim Bauern

MAINZ/BERLIN. Gehen Landwirte falsch mit Pflanzenschutzmitteln um? Ja, sagt das Umweltbundesamt und kündigt Beobachtungen an. Quatsch, kontert das Mainzer Landwirtschaftsministerium und geißelt den "Spionageplan". Ein misslungener Austausch von Daten hat den Streit neu entfacht. Big Brother beim Bauern? Mit dem Fernseh-Hit verbindet die aktuelle Diskussion zumindest eins: das Spektakel.

Die Rhetorik des rheinland-pfälzischen Landwirtschaftsministers würde jedem Bauernvertreter zur Ehre gereichen: Einen "Lauschangriff" auf die Landwirte wittert Hans-Artur Bauckhage und sieht "das Tor zum Bauernüberwachungsstaat" weit offen. Zwar können Mainzer Regierung und Landwirte gemeinhin recht gut miteinander, doch wenn das ministerielle Mitgefühl Ausmaße wie dieser Tage annimmt, steht mehr dahinter. Es geht gegen einen gemeinsamen Gegner: das Umweltbundesamt (Uba)."Forschung" in Berlin, "Spionage" in Mainz

Die Behörde hat nach eigenen Angaben Hinweise darauf, dass Pflanzenschutzmittel mitunter nicht sachgerecht auf den Feldern ausgebracht werden. Nun quält die Verantwortlichen die Frage, welches Ausmaß fehlerhafte Anwendungen haben und ob der Grund dafür in unpraktikablen Auflagen und Anwendungsbestimmungen zu suchen ist. Eine Antwort darauf sollen bundesweite Feld-Beobachtungen liefern. Dieser Plan ist freilich nicht neu. Schon vor ziemlich genau einem Jahr hatte er für einen Aufschrei unter Deutschlands Landwirten gesorgt, die sich einem Heer von "Agrar-Spionen" gegenüber sahen und sich "kriminalisiert" fühlten. Auch damals sprangen ihnen Landes-Politiker zur Seite: Die Pflanzenschutzdienste der Länder verfügten über entsprechende Daten, argumentierten sie, die geplanten Uba-Beobachtungen seien deshalb schlicht überflüssig. Doppelte Arbeit? Das wollten auch die Berliner Beamten niemandem zumuten und baten deshalb im vergangenen Sommer um Übermittlung der gewünschten Daten. Damit sah es ganz so aus, als hätten sich die Meinungsverschiedenheiten in Wohlgefallen aufgelöst. Bis sich vor einigen Tagen das Uba erneut zu Wort meldete: Nur wenige Länder hätten konkrete Ergebnisse vorgelegt, heißt es in einer Pressemitteilung, und: "Es ist sehr bedauerlich, dass die Länder offenbar nicht über die erhofften Daten verfügen oder uns diese nicht übermitteln wollen." Uba-Fachbereichsleiter Klaus Steinhäuser lässt keinen Zweifel daran, an welche der beiden Optionen er im Falle von Rheinland-Pfalz glaubt: Nur eine halbe Seite habe er erhalten, berichtet er dem TV . "Wenn das alles ist, finde ich das sehr erstaunlich." Notwendige Konsequenz aus Sicht des Uba: Die Feldbeobachtungen kommen nun im Frühjahr doch. An 300 zufällig ausgewählten Beobachtungspunkten sollen Institute den Umgang von Landwirten mit Pflanzenschutzmitteln beobachten und Bodenproben nehmen - unangemeldet, "um das Verhalten der Landwirte nicht zu beeinflussen", wie es heißt. Geplant ist auch eine Befragung der Landwirte, die Schwierigkeiten bei der Einhaltung von Anwendungsbestimmungen schildern und Verbesserungsvorschläge machen sollen - auf freiwilliger Basis. Auch die Felder würden nur mit Einwilligung der Landwirte betreten, betont Steinhäuser. Die gesammelten Daten würden anonymisiert, kein Landwirt habe Strafen oder Nachteile zu befürchten. Es gehe dem Uba um ein repräsentatives Bild, auf dessen Grundlage man Defizite in Anwendungsbestimmungen identifizieren und regionalisierte Vorgaben entwickeln wolle. Rund 300 000 Euro werden für das Projekt locker gemacht. Im Referat für Acker- und Pflanzenbau beim - FDP-geführten - Mainzer Landwirtschaftsministerium wehrt man sich gegen die Vorwürfe aus der - grünen - Berliner Behörde: "Wir haben dem Umweltbundesamt gegeben, was wir haben", sagt Gisela Horix. Und bläst zum Gegenangriff: Kernpunkt der Uba-Beobachtungen sei die Einhaltung von Abständen etwa zu Gewässern. Sinn und Zweck solcher Abstände seien unter Wissenschaftlern umstritten und stünden in Frage. "Ausgerechnet in dieser Diskussion fängt das Uba an, solche Untersuchungen zu machen!" Vor allem aber das "Wie" stößt Horix und ihrem Chef Bauckhage bitter auf: Die Kontrolleure stellten Landwirte grundlos an den Pranger, sagt die Verwaltungsfrau. "Das ist, als ob die Kripo einfach in einen Haushalt ginge und sagte: ,Wir gucken mal, ob wir was finden, was da nicht hingehört!‘" Und der Minister behauptet: "Unsere Bauern und Winzer wissen sehr gut, wie sie mit Pflanzenschutzmitteln umgehen müssen. Wir brauchen keine staatlich bestellten Späher." Bauckhage hat Bundesumweltminister Jürgen Trittin aufgefordert, den "Forschungsauftrag", der ein "Spionage-Auftrag" sei, zurückzuziehen. Angesichts der schweren Mainzer Geschütze fällt der berufsständische Beitrag zur Abwehrschlacht gegen das Uba ungewohnt harmlos aus: Leo Blum wirft der Bundesregierung eine "ideologische Vorgehensweise" vor. Das Ziel praktikablerer Anwendungsbestimmungen sei "eine Finte", schimpft der Präsident des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau, und: "Es gibt keine Berufsgruppe, die so kontrolliert und gegängelt wird wie wir."

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