Reisebranche macht sich Sorgen

Berlin · Anschläge und politische Turbulenzen 2016, Nazi-Vergleiche und wachsende politische Spannungen 2017. Die Töne aus Istanbul verunsichern die Touristiker.

Berlin (dpa) Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sorgt mit Nazi-Vergleichen in Deutschland für Wirbel. Doch sein Außenminister Mevlüt Cavusoglu wirbt auf der Tourismusmesse ITB: "Wir erwarten, dass unsere deutschen Freunde ihre Ferien wieder in der Türkei verbringen." Bislang geht die Rechnung nicht auf, die Branche ist besorgt. "Wir sehen es sehr ungern, dass es jetzt diese sehr deutlichen Spannungen gibt", sagt der Präsident des Reiseverbandes DRV, Norbert Fiebig. Bereits im vergangenen Jahr mieden viele Sonnenhungrige nach Anschlägen und dem Putschversuch das Land. Wie entwickelt sich aktuell das Geschäft mit der Türkei? Bis Ende Januar gingen bei Reisebüros für die wichtige Sommersaison nach Angaben der GfK-Konsumforscher 58 Prozent weniger Buchungen ein als im schwachen Vorjahreszeitraum. Damals hatte es bereits ein Minus von 40 Prozent gegeben. Rund vier Millionen Deutsche reisten im vergangenen Jahr in die Türkei - vor zwei Jahren waren es noch 5,6 Millionen gewesen. Noch ist das Sommergeschäft allerdings nicht gelaufen. Veranstalter hoffen auf Kurzentschlossene. Einige berichten zudem von steigender Nachfrage in den letzten Wochen - zum Beispiel der Reisekonzern Thomas Cook. Das Unternehmen ist unter anderem mit der Marke Öger Tours stark im Türkei-Geschäft vertreten. FTI kauft sogar zusätzliche Flugkapazitäten wegen der "aktuell guten Buchungslage und der zu erwartenden Last-Minute-Nachfrage". Was können Veranstalter machen? Sie haben inzwischen viel Erfahrung damit, flexibel auf Nachfrageänderungen zu reagieren und Kapazitäten in andere Urlaubsregionen zu verschieben. Konzerne wie der Branchenprimus Tui vereinen Hotel- und Kreuzfahrtgesellschaften, Flugzeuge und Veranstalter unter einem Dach. Andere Veranstalter müssen gegebenenfalls Kapazitäten zukaufen. Verbringen verunsicherte Urlauber die schönsten Wochen des Jahres im eigenen Land oder fahren mit dem Auto zu Freunden oder Verwandten, haben die Reiseprofis allerdings wenig davon. "Die Deutschen verreisen nach wie vor. Der Veranstaltermarkt profitiert davon aber nur unterschiedlich", sagt GfK-Expertin Dörte Nordbeck. Was machen Airlines? Generell haben Ferienflieger nach Angaben des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt ihr Angebot für den Sommer 2017 ausgebaut. Angebot und Nachfrage in die Türkei ließen dagegen weiter nach. Schwierig könnte es werden, wenn es wie erhofft zu einem Ansturm Kurzentschlossener kommt. "Wenn die Airlines umrouten, dann werden für die Türkei Flüge fehlen. Dafür werden wir in anderen Destinationen weit mehr Sitzplätze haben, als es Betten gibt", warnte Deniz Ugur, Chef des Türkeispezialisten Bentour, in der Branchenzeitschrift fvw. Wie austauschbar ist die Türkei als Reiseziel? Das ist kurzfristig schwierig. Das vor allem bei Familien beliebte Land am Bosporus punktet aus Sicht der Branche mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Dort sei der Badeurlaub auch noch für Familien mit schmalem Geldbeutel finanzierbar, argumentiert Tourismusforscher Torsten Kirstges. "Derzeit gibt es aber einfach nicht mehr so viele Ziele mit entsprechenden Kapazitäten zum guten Preis", sagte Kirstges der Neuen Osnabrücker Zeitung. Was könnten die langfristigen Folgen sein? Experte Martin Lohmann schließt nicht aus, dass Touristikkonzerne ihre Investitionen in das Land herunterfahren könnten. "Erdogan ist sicher besser darin, Investoren zu verschrecken als Touristen." Durch ihr Angebot könnten die Reiseprofis die Urlauberströme steuern. "Es muss nicht unbedingt die Türkei sein", sagt der Geschäftsführer des Instituts für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT). Fragen & Antworten Türkei-Tourismus

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