Theorie der Gewalt - dann die Praxis

Baton Rouge · Gavin Long verstand sich als Philosoph der Gewalt. Im Internet schwang er militante Reden, unter dem Pseudonym Cosmo Setepenra hat er sich in den Tagen vor seiner Attacke auf Polizisten wiederholt über Polizeigewalt beklagt. Er war ein Theoretiker der Gewalt, bevor er zum Praktiker der Gewalt wurde.

Baton Rouge. Nachdem zwei Beamte in der Nacht zum 5. Juli in Baton Rouge den 37 Jahre alten Afroamerikaner Alton Sterling mit Schüssen aus nächster Nähe getötet hatten, spottete Long auf YouTube über die Welle der Demonstrationen, die Sterlings Tod folgte. Mit friedlichem Protest erreiche man nichts, "hundert Prozent aller Revolutionen, wenn sich Opfer gegen ihre Unterdrücker auflehnen, hatten Erfolg, indem zurückgeschlagen wurde, durch Blutvergießen". Einfach nur zu protestieren, predigte Long, habe in keinem Fall zum Ziel geführt. "Du musst zurückschlagen. Das ist der einzige Weg, um einen Tyrannen in die Schranken zu weisen."Komplexe Hintergründe


Gavin Eugene Long, der in Kansas City lebte, war in Baton Rouge, um seinen Geburtstag zu feiern. Just am Tag seiner Bluttat wurde er 29 Jahre alt. Bei der Marineinfanterie ausgebildet, erschoss er am Sonntagmorgen drei Polizisten und verletzte drei weitere zum Teil schwer, bevor er selber von Polizisten erschossen wurde.
Entgegen ersten Meldungen, in denen von Komplizen die Rede war, gehen die Behörden inzwischen davon aus, dass er allein handelte. So wie Micah Johnson, der zehn Tage zuvor am Rande einer Demonstration im texanischen Dallas gezielt Beamte ins Visier nahm.
Während Johnson indes ausschließlich auf weiße Ordnungshüter anlegte, trafen Longs Kugeln auch einen schwarzen, den 32 Jahre alten Montrell Jackson. Der hat erst vor Kurzem eindringlich geschildert, wie er sich fühlt als Schwarzer, der bei der Polizei in Baton Rouge arbeitet. "Ich liebe diese Stadt, aber ich frage mich, ob diese Stadt mich auch liebt", schrieb der junge Familienvater. "In Uniform bekomme ich hasserfüllte Blicke, und ohne Uniform sehen mich manche als Bedrohung an." Dennoch habe er die Hoffnung, dass es besser werde. Die Hintergründe der Attacke sind womöglich komplexer, als dass man es auf eine simple Schwarz-gegen-Weiß-Geschichte reduzieren könnte.
Was man bisher weiß über Long, lässt auf einen Ex-Soldaten schließen, der offenbar mit schweren psychischen Problemen zu kämpfen hatte, ähnlich wie Johnson, in dem er offensichtlich ein Vorbild sah. Im Internet bezeichnete er sich als spirituellen Berater, Diätlehrer und Lebenstrainer.
In einem Video-Statement, das wohl als Abschiedsbotschaft verstanden werden darf, ließ er wissen, er sei einst Mitglied der Nation of Islam gewesen, einer Organisation des radikalen Predigers Louis Farrakhan. Man möge ihn aber weder damit noch mit einem Terrornetzwerk in Verbindung bringen, er sei allein dem "Geist der Gerechtigkeit" verpflichtet.Wasser auf Trumps Mühlen


Ob Long mit posttraumatischen Belastungsstörungen aus dem Krieg im Irak zurückkehrte, ist bislang nicht bekannt. Von Juni 2008 bis Januar 2009 war er im Zweistromland stationiert. Fünf Jahre lang hatte er bei der Marineinfanterie gedient, ein Spezialist für Datennetzwerke, 2010 im Rang eines Sergeanten in Ehren entlassen. Seine geschiedene Frau soll in Kürze vernommen werden. Von ihr erhoffen sich die Ermittler neue Aufschlüsse.
Worüber nicht weiter gerätselt werden muss, ist die politische Wirkung des Angriffs von Baton Rouge. Die ohnehin schon angespannte politische Atmosphäre in den USA wird sich noch weiter aufladen.
In Cleveland tagen seit Montag die Republikaner, um Donald Trump offiziell ins Rennen ums Weiße Haus ins Duell gegen Hillary Clinton zu schicken. In einem Umfeld, das die Amerikaner täglich mit neuen Hiobsbotschaften rechnen lässt. Dass dies alles Wasser auf Trumps Mühlen treibt, lässt sich schon jetzt unschwer erkennen.
Kaum waren die Nachrichten aus Baton Rouge über die Ticker gelaufen, schlug der Immobilienmogul auch schon den Bogen zur globalen Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terror, einmal mehr im auffälligen Kontrast zum Präsidenten Barack Obama, der die Wogen zu glätten versuchte und vor einem "überhitzten" politischen Diskurs warnte. "Wir versuchen, gegen IS zu siegen, und nun morden unsere eigenen Leute unsere Polizei. Unser Land ist gespalten und außer Kontrolle. Die Welt beobachtet uns", twitterte Trump.
Der Konvent, den er zu zelebrieren gedenkt wie eine Krönungsmesse, dürfte nun noch markanter im Zeichen von Law and Order stehen.
Am Montag, dem ersten offiziellen Tag des Parteitags, blieb es zunächst ruhig auf den Straßen von Cleveland. Das aber könnte sich ändern, zumal es an düsteren Prognosen nicht mangelt. In einer Kirche der Stadt versammelten sich am Sonntag Mitglieder der Black-Power-Bewegung, unter ihnen der Rechtsanwalt Malik Zulu Shabazz, der einst die New Black Panther Party anführte. Das ist eine militante Organisation schwarzer Amerikaner, der Bürgerrechtler Rassismus und Antisemitismus vorwerfen. Shabazz sagte, die Lage erinnere ihn an tektonische Platten, die sich immer stärker aneinander rieben. Trump verstärke den Druck auf diese Platten. Und deswegen werde es immer neue Erdbeben geben.

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