Damit alle dabei sein können

Trier · Mehr als 100 Menschen nahmen am sechsten Inklusionsgespräch im Schammatdorf-Zentrum teil. Darunter Menschen im Rollstuhl, geistig behinderte Menschen, Gehörlose und Blinde. Gelingt eine inklusive Veranstaltung?

 Sie haben die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Blick: (von links) Sozialdezernentin Angelika Birk, Wolfgang Enderle (verdeckt, Lebenshilfe Trier), Nancy Poser (Forum behinderter Juristen), Gerd Dahm (Behindertenbeirat Trier) und Matthias Rösch (Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen). Foto: Ute Treinen/Club Aktiv

Sie haben die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Blick: (von links) Sozialdezernentin Angelika Birk, Wolfgang Enderle (verdeckt, Lebenshilfe Trier), Nancy Poser (Forum behinderter Juristen), Gerd Dahm (Behindertenbeirat Trier) und Matthias Rösch (Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen). Foto: Ute Treinen/Club Aktiv

Foto: (h_st )

Trier Es kommt selten vor, dass Daniela und Norbert Herres an einem Bürgergespräch teilhaben können. Beide sind gehörlos. Anders während des sechsten Inklusisonsgesprächs im Trierer Schammatdorf-Zentrum. Denn Michael Schultheis und Elena Baumstark, Dolmetscher deutscher Gebärdensprache, übersetzten das Gesagte mit Händen, Mimik und Körpersprache. Und die Dokumentation zweier Schriftdolmetscher war auf einer Leinwand zu lesen.
Auch Rainer Neubert, Chefreporter des Trierischen Volksfreunds, war Teil des Experiments "barrierefreie Veranstaltung". Er moderierte den Abend nicht nur in einfacher Sprache, er bat auch die Podiumsteilnehmer, es ihm gleich zu tun.
Nachdem der Moderator rote Karten im Publikum verteilt hatte, begrüßte Michael Jörg, Vorsitzender des Club Aktiv, Veranstalter des Abends, die Gäste. Die roten Karten konnten gezückt werden, wenn die einfache Sprache entgleiste und man dem Gesagten nicht folgen konnte. Roter Faden des Inklusionsgesprächs war die Frage: "Lebe ich, wie ich will? Lebe ich, wo ich will? Oder bestimmen das andere?"
Die Behindertenrechtskonvention der UN besagt, dass Menschen mit Behinderung das gleiche Recht wie Menschen ohne Behinderung haben. Sie können selbst bestimmen, wo, wie und mit wem sie wohnen und leben wollen.
Acht Jahre nach Inkrafttreten der Konvention wurde im Januar 2017 das Bundesteilhabegesetz verabschiedet. Es soll Menschen mit und ohne Behinderung in Deutschland gleichstellen.
Nancy Poser, Richterin, auf Hilfe angewiesen und vom Forum behinderter Juristinnen und Juristen, zeigte die guten und schlechten Seiten des Gesetzes auf. Einer ihrer Hauptkritikpunkte: "Es kann immer noch passieren, dass man im Heim leben muss, weil die Hilfe zu Hause zu viel kostet und das Amt das Leben im Heim als zumutbar einstuft." Und viele Menschen hätten nicht die Kraft, gegen die Entscheidung zu klagen. Sie fordert: "Jeder soll leben können, wie er möchte."
Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen in Rheinland-Pfalz, sagte deutlich: "Gezwungen werden, ins Heim zu gehen, geht gar nicht."
Wolfgang Enderle, Vorstandsvorsitzender der Lebenshilfe Trier, sieht das Bundesteilhabegesetz noch in der Rohbauphase. "Es sind noch viele Schritte zu gehen, bis klar ist, was letztendlich für alle gültig sein muss." Einer dieser Schritte sei, dass geklärt werden müsse, wo die existenziellen Entscheidungen getroffen werden. Beim Land? Bei den Kommunen?
Laut Gerd Dahm, Behindertenbeauftragter der Stadt Trier, ist dies die Schlüsselfrage. Er und der Vater einer geistig beeinträchtigten Tochter appellierten, dass die Betroffenen bei den Entscheidungen mit ins Boot genommen werden müssen.
Angelika Birk, Sozialdezernentin der Stadt Trier, und ihr Kollege vom Kreis Trier-Saarburg, Joachim Christmann, signalisierten in ihren Statements Gesprächsbereitschaft. Laut Birk gilt in der Stadt schon lange der Grundsatz "ambulant vor stationär".
Franz-Josef Wagner legte den Finger in eine Wunde. "Wie viele Menschen leben falsch in Heimen und sind nicht in der Region untergebracht?" wollte der Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Landesverbands Psychiatrie-Erfahrener wissen. Schweigen. Es gebe einen Plan, dies herauszufinden, sagte Poser.
Nach mehr als zwei Stunden offenen Austauschs wurde deutlich: Es gibt noch viel Klärungsbedarf. Und das Experiment? Niemand hatte die rote Karte gezückt. Norbert Herres sagte mit Hilfe des Gebärdensprachdolmetschers: "Ich bin sehr froh, es müsste viel mehr solcher Veranstaltungen geben." Barrierefreiheit ist machbar.

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