Gestatten: Ralingen, Stromproduzent

Ralingen/Trier · Seit Jahren schreibt Ralingen rote Zahlen, jetzt sucht es sein Heil in der Windkraft: Vier Windräder sind mit Hilfe eines privaten Partners am bestehenden Windpark bei Eisenach geplant. Ein Novum im Kreis: An einer Anlage will die Gemeinde richtig Geld verdienen, und zwar als Betreiberin.

Demnächst sollen in Ralingen die Ergebnisse einer Bürgerbefragung vom Herbst 2010 vorgestellt werden. Dass seitdem zwei Jahre ins Land gegangen sind und die 2200 Ralinger immer noch nicht wissen, was bei der Erhebung über die Lebensqualität in ihrem Ort herausgekommen ist, liegt genau genommen an 2000 Euro. So viel sollte die Gemeinde der Uni Trier für die Auswertung der Bögen zuschießen (der TV berichtete), aber es kam zum Streit, ob diese Zahlung vorher vereinbart worden war oder nicht. Ungeachtet dessen, wer an der Verzögerung schuld ist, zeigt das Beispiel doch eines ganz deutlich: Für Ralingen, das seinen Haushalt seit Jahren nicht ausgleichen kann, sind schon 2000 Euro viel Geld. Wie soll man da wesentlich teurere Infrastruktur-Projekte finanzieren, die sich die Bürger zur Verbesserung ihrer Lebensqualität wünschen und auf den Bögen angekreuzt haben?
"Die Gemeinden müssen doch lebensfähig bleiben", sagt Ortsbürgermeister Oswald Disch, "und die einzige Möglichkeit dazu bieten die Einnahmen aus der Windkraft". Am 20. November sollen die Verträge für vier Windkraftanlagen im Distrikt "Kortbüsch", der zwischen dem Edinger Berg und dem bestehenden Windpark Helenenberg/Eisenach liegt, unterzeichnet werden. Partner ist das norddeutsche Unternehmen AgRo & WEA Projekt GmbH, dessen Tochter Öko Eifelwind bereits drei Räder in dem Windpark betreibt - das vierte soll kommende Woche in Betrieb gehen. Eines dieser Räder ist nach Auskunft von Ökowind-Geschäftsführer Robert Kölsch (Welschbillig) in Bürgerhand. Im November 2011 hätten Interessenten aus fünf Dörfern Anteile von 900 000 Euro gezeichnet.
Auch bei den nun geplanten vier Anlagen vom Typ Enercon 101 (200 Meter hoch, Leistung drei Megawatt) soll die Wertschöpfung, wie Kölsch sagt, in der Region bleiben: Eine Anlage soll die Gemeinde Ralingen betreiben, eine oder zwei, je nach Nachfrage, die Bürger, der Rest die Gesellschaft. Da es sich um die Arrondierung eines bestehenden Windparks handelt, kann im Genehmigungsverfahren auf vorliegende Gutachten zurückgegriffen werden. Das spart Geld und Zeit. Trotzdem habe ein Fledermaus-Gutachten ein ganzes Jahr gedauert, sagt Kölsch. Mit "Horchboxen" in Nabenhöhe sei festgestellt worden, dass Fledermäuse aus Luxemburg nachts zum Jagen rüberkämen.
Pacht wird auf alle verteilt


Von 100 Hektar Land, die auf "Kortbüsch" überplant werden, sind etwa 40 Prozent in Gemeindebesitz, 60 Prozent halten Privatpersonen. Laut Kölsch wird die Pacht zu 80 Prozent auf alle Grundstückseigentümer verteilt, auch auf jene, die kein Windrad auf ihrer Parzelle haben. Ferner gingen zehn Prozent an die unmittelbaren Standort-Halter und zehn Prozent an die Gemeinde für die Bereitstellung von Wegen und Kabeltrassen. Mit einem Mehrfachen der Pachteinnahmen können Betreiber von Windrädern rechnen (siehe Extra).
Mit dem Kreis, der kürzlich eine Energiegesellschaft gegründet hat (der TV berichtete), wollte Ralingen das Windkraft-Geschäft nicht machen. "Die Verwaltung ist nicht flexibel und schnell genug", sagt Ortsbürgermeister Disch. Die WEA habe dagegen ein klares Konzept. "Wenn der Kreis in die Pötte gekommen ist", so Disch weiter, "dann können wir durchaus was mit ihm machen." Ralingen plant weitere fünf bis sechs Windräder bei Olk.Meinung

Jetzt gilt es!
Wer weiß, was das Erneuerbare-Energien-Gesetz noch abwirft, wenn es in drei Jahren reformiert wird. Vermutlich wird der Bund seine Einspeisevergütung weiter senken, um den Strompreis an der Kette zu halten. Dass sich die Gemeinde Ralingen trotz leerer Kassen in das Abenteuer Stromerzeugung stürzt, ist nachvollziehbar: Gerade weil kein Geld da ist, um im Ort noch etwas zu gestalten, sind die zu erwartenden Einnahmen aus der Windkraft der letzte Rettungsanker. Ralingen hat Glück, die Standortvoraussetzungen sind optimal: Am Kortbüsch existiert bereits ein Windpark, damit ist man weitgehend vor Störfeuer der Genehmigungsbehörden geschützt. Ralingen als Pionier der kommunalen Stromerzeugung im Kreis werden wohl bald weitere Gemeinden folgen. Bleibt abzuwarten, ob der Kreis es schafft, mit seiner neuen Energiegesellschaft ihr Vertrauen zu gewinnen. Er ist spät dran und muss sich sputen. Jetzt gilt es! a.follmann@volksfreund.deExtra

Für die Gemeinde Ralingen als künftige Betreiberin eines Windrads macht die Firma Ökowind folgende betriebswirtschaftliche Rechnung auf: 5,5 Millionen Euro kostet die Anlage, davon sind 1,1 Millionen Euro an Eigenkapital aufzubringen. Ralingen müsste sich das Geld über Kredite besorgen. Der Stromertrag - er ist durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) 20 Jahre lang garantiert - bringt der Gemeinde jährlich 650 000 Euro ein, das sind auf die Garantiezeit hochgerechnet 13 Millionen Euro. Nach Abzug aller Unkosten wie Darlehenszahlungen, Unterhaltung der Anlage und Versicherung soll die Gemeinde Ralingen nach 20 Jahren eine Netto-Ausschüttung von 3,3 Millionen Euro erhalten haben. Die Kosten für den Rückbau der Anlage sind in den Kalkulationen enthalten. Zudem kann die Gemeinde in 20 Jahren pro Anlage mit Gewerbesteuereinnahmen von 350 000 Euro rechnen. alf

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