"Ich war nicht anders als andere Frauen"

TRIER. An diesem Wochenende feiert Maria Torgau ihren 90. Geburtstag. Die Biographie der Heiligkreuzerin zeichnet ein knappes Jahrhundert deutscher Geschichte nach - aber von einer ganz anderen Seite als die der meisten Menschen ihrer Generation.

Die Jubilarin steht an der Haustür und heißt den Gast von der Presse persönlich willkommen. Blaues Kleid, Schal: Wären da nicht die bequemen Pantoffeln, man würde auf einen Stadt-Ausflug tippen. Ein spürbarer Händedruck, dann geht es mit sicheren Schritten durch das kleine Einfamilienhaus zum Stammplatz auf der Wohnzimmercouch. Der Kaffee brubbelt in der Küche einladend vor sich hin. Von Menschen, die ihren 90. Geburtstag feiern, heißt es in Gratulations-Artikeln meist höflich, sie nähmen "noch rege am Leben teil". Eine Formulierung, die einem bei Maria Torgau gar nicht erst einfällt. Eher schon die, dass sie "ihren Laden immer noch selbst schmeißt". Sie wohnt allein, versorgt sich selbst, kümmert sich um ihren Garten, Letzteres allerdings "immer nur zehn Minuten, dann bin ich fix und fertig". Drei Kinder, fünf Enkel, drei Urenkel, dazu einige Freunde: Für Hilfe ist gesorgt. Aber ein Wegzug aus der gewohnten Umgebung, vielleicht sogar in ein Seniorenheim? "Auf gar keinen Fall", ruft sie und schlägt die Hände überm Kopf zusammen. Dabei wird die Sache nicht einfacher, zumal der Laden um die Ecke gerade zugemacht hat und sie jetzt für ihre Einkäufe weiter laufen muss. "Ich werd mir doch net alles aus der Hand holen lassen, so lang et noch geht." Die Sprache weist sie als Ur-Triererin aus. In Heiligkreuz kam sie 1914 auf die Welt, "unnerm Berg", wie sie sagt. Tochter eines Gipsers, engagiert bei der Wanderbewegung. Eine Durchschnittsbiographie. Bis sie mit 20 Willi Torgau kennenlernt, Spross einer Trierer Arbeiterfamilie und überzeugter Kommunist. Von da ab ist nichts mehr durchschnittlich im Leben der Maria Torgau. Ihr Mann wird verhaftet, verschwindet für Jahre in den Gefängnissen und Konzentrationslagern der Nazis. Ihre Schwägerin wird in Auschwitz ermordet. Maria Torgau ist mittellos, der Staat hilft ihr nicht. Sie muss sich mit dem gerade geborenen Sohn durchschlagen, hält sich mit Putzarbeiten über Wasser. Nach sieben Jahren holt sie ihren Mann im Zuchthaus ab. "Seine Jacke war an den Seiten offen, der Schweiß hatte den Stoff weggeätzt", erinnert sie sich. Bis Kriegsende lebt man bei Marias Eltern in der Wohnsiedlung, angefeindet von Nachbarn. Den "Zuchthäusler und Kommunisten" habe niemand haben wollen. Marias Bruder, der bei der Waffen-SS war, "mit dem waren sie alle gut Freund". Nach Ende der Nazi-Herrschaft wird die Situation besser. Es gibt eine Entschädigung für die KZ-Haft, der Staat hilft beim Start, vermittelt ein kleines Mietshäuschen, das die Familie später übernimmt. Willi Torgau zieht für die KPD in den Stadtrat ein, auf seinen Antrag hin wird die Birkenstraße, wo die Torgaus und mehrere andere ehemalige Nazi-Verfolgte wohnen, in Geschwister-Scholl-Straße umbenannt. Maria Torgau engagiert sich mit, fährt ab 1946 zu den ersten Ostermärschen, übernimmt Aufgaben als Kurierin und Kassiererin, kandidiert sogar mal für den Landtag. Von Haus aus sei sie eigentlich gar nicht so politisch gewesen, sagt sie heute. "Aber ich musste doch meinen Mann unterstützen, das war doch seine Welt." Da unterscheiden sich Linke und Bürgerliche wohl nur in Nuancen.Verfolgten-Rente im kalten Krieg aberkannt

Im Zeichen des kalten Krieges erkennt die Adenauer-Republik dem KPD'ler Torgau die Verfolgten-Rente ab. Die finanziellen Folgen spürt Maria Torgau noch heute. "Aber was soll's?", fragt sie, ihr Mann habe immer gesagt, er sei "schließlich nicht im KZ gewesen, um eine Rente zu bekommen". Jammern gehört nicht zum Repertoire der Torgaus. "Außer der Gefängniszeit hatten wir gute Jahre", resümiert die Jubilarin. Aber seit dem Tod ihres Mannes 1999 fehle ihr "für vieles einfach der Gesprächspartner". Politisch engagiert ist sie nach wie vor. Aber im Bücherschrank stehen neben "Résistance-Erinnerungen" auch Gartenlexika und Trier-Bildbände. Ihren Humor hat Maria Torgau nie eingebüßt. Lachend erzählt sie von den "vielen Ersatzteilen", auf die man im Alter angewiesen sei. Auf ihre Nachbarschaft in der Geschwister-Scholl-Straße lässt sie nichts kommen. "Man kriegt hinten und vorne geholfen, wenn man so alt ist." "So alt", das sind ab dem 18. April 90 Jahre. Das wird bei der Tochter gefeiert, "mit 38 Gästen", wie sie stolz vermerkt. "Bitte keine Lobhudelei", gibt sie dem Berichterstatter noch mit auf den Weg, "ich war nicht anders als andere Frauen auch." Ein bisschen wohl doch.

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