Londoner Olympiastadion wird zur Kultstätte

London (dpa) · Viele große Arenen sind über Jahre und Jahrzehnte zu Tempeln des Sports gereift - als Schauplätze legendärer Fußball-Schlachten wie in Wembley, oder als Ort unvergesslicher Boxkämpfe wie im Madison Square Garden in New York. Das Londoner Olympiastadion hat nur vier Wochen gebraucht:

Die 80 000 Zuschauer fassende Arena, vor den Spielen als Zankapfel und Millionengrab durch den britischen Blätterwald gezerrt, ist für die Briten durch die erfolgreichen Olympischen Spiele und vielleicht fast noch mehr durch die fantastischen Erfolge heimischer Paralympioniken innerhalb kürzester Zeit zur Kultstätte geworden.

Die britischen Boulevardmedien überschlagen sich geradezu mit Lob für das täglich mit 80 000 begeisterten Menschen gefüllte Stadion und den Olympia-Park. Und selbst der seriöse „Guardian“ schreibt über das einst völlig verwahrloste Gelände im armen Osten der Acht-Millionen-Einwohner-Metropole vom „gelobten Land“. Tatsächlich könnte das eintreten, was Organisationschef Sebastian Coe seit der erfolgreichen Bewerbung Londons 2005 verspricht: „Inspire a Generation“. Londons Bürgermeister Boris Johnson zählt derzeit fortlaufend die Zahl derer, die neu in Sportvereine eingetreten sind: „Es sind tausende“, sagt er.

Die Abendkühle hat in den vergangenen Tagen aber auch einen Hauch von Melancholie durch den Park wehen lassen, der den Besuchern bewusst macht: Bald ist es vorbei. In der Tat: Wenn am Sonntag in Stratford auch das paralympische Feuer erlischt, wird das Gelände - so groß wie 350 Fußballfelder - erst einmal wieder für mehr als ein Jahr geschlossen. Die Zeit der großen Gefühle ist vorbei - es regiert der nüchterne Verstand von Ingenieuren und Buchhaltern.

Ein Großteil der Sportstätten wird zurückgebaut. Die Basketballhalle verschwindet, das Aquatics-Centre verliert seine Seiten-Tribünen. Auch die Riverbank-Arena, wo bei Olympia Hockey und bei den Paralympics Fußball gespielt wurde, büßt einen Teil seiner Tribünen ein. Die Appartements im olympischen Dorf, wo bis zu 17 000 Athleten und Betreuer übernachteten, werden zu 3000 Wohnungen umgebaut - und erhalten Einbauküchen. Weit über sieben Milliarden Pfund hat der britische Steuerzahler in den Park gesteckt. 200 Millionen Pfund kommen in den nächsten 18 Monaten noch einmal für den Umbau hinzu.

Für sieben der acht Bauten gibt es bereits ein Nachnutzungskonzept. So sollen das Velodrom und die Schwimmhalle komplett für den Breitensport sowie für Schulen geöffnet werden. Die Handball-Arena wird zur einer Multifunktionshalle umgebaut - für Sportveranstaltungen, aber auch für Musik- und Theatershows. Es gibt Pläne, dass dort künftig jährlich ein großes Behinderten-Sportfest steigen soll. In das Medienzentrum wird eine Technologiefirma einziehen. Bis zu 4000 Arbeitsplätze sollen dort entstehen. Die Poliklinik im Athletendorf soll als lokales Gesundheitszentrum weiter betrieben werden.

Kopfschmerzen bereitet den Verantwortlichen weiter das Prunkstück des Parks, das fast 500 Millionen Pfund (631 Millionen Euro) teure Olympiastadion. Die Verhandlungen um einen Mietvertrag mit dem Premier-League-Club West Ham United sind noch immer nicht beendet. Die Laufbahn um den Rasen - für viele englische Fußballfans ein No Go - muss bleiben. 2017 werden in Stratford die Leichtathletik-Weltmeisterschaften stattfinden.

Die Londoner sind sich mit ihrem Bürgermeister Boris Johnson einig: Sowohl Olympia als auch die Paralympics sind den Menschen an der Themse ans Herz gewachsen. Aber war es das wert? Alteingesessene Ost-Londoner sind skeptisch. Sie haben das Beispiel Canary Wharf, in Sichtweite des Olympia-Parks vor Augen, wo die großen Banken die ehemalige Hafengegend für sich eingenommen haben - tausende Arbeitsplätze entstanden für Pendler, für die armen, wenig gebildeten Einheimischen blieben nur die Jobs als Fensterputzer. Dennis Hone, Chef der staatlichen London Legacy Development Corporation, bittet um Geduld. „Das ist ein Generationen-Projekt“, sagt er. „Es kann 20 Jahre dauern, bis wir den vollen Effekt erleben.“

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