Kopflos im Weihrauchnebel

TRIER. Gruselig, blutig, schaurig und geheimnisvoll – Worte, die man spätestens in den ersten drei Sätzen von Texten über Vampire findet. Auch wenn es die Atmosphäre der Samstagabend-Aufführung des seit elf Jahren bestehenden Jugendklubs des Trierer Theaters in der Tuchfabrik passend beschreibt, sollte die Klischee-Kiste diesmal geschlossen bleiben.

Selten war ein Fürst der Dunkelheit so sexy. In kniehohen schwarzen Lederstiefeln stöckelt er (oder im Fall von Darstellerin Bernadette Borkam wohl eher sie) leicht lasziv über die Bühne. Wer sich nun jedoch an die "Rocky Horror Show" erinnert fühlt, liegt falsch. Weitab vom Kult-Klamauk nähert sich das Ensemble des Jugendklubs ernsthaft dem Vampirismus. Sylvia Martin und Elke Reiter haben sich die "Dracula"-Bühnenfassung von Reinhard Palm vorgenommen und seit Januar mit den Jugendlichen erarbeitet. Kein leichtes Unterfangen, zumal das aktuelle Darstelleraufgebot des Klubs reichlich Bühnen-Frischlinge beherbergt. Von den rund 30 größtenteils 14- bis 15-Jährigen haben lediglich fünf bereits Theaterluft geschnuppert. Oppermann: Beeindruckendes Ergebnis

"Ich bin wirklich berührt, wenn ich sehe, was sie da auf die Beine gestellt haben", schwärmt Peter Oppermann, der im Superstress zwischen den bevorstehenden Antikenfestspielen, dem laufenden Spielplan und der Vorbereitung der neuen Spielzeit steckt. "Momentan macht jeder hier mindestens vier Jobs auf einmal, und ich bin wirklich beeindruckt von dem Ergebnis", so der Chefdramaturg. Sichtlich stolz strahlt auch Sylvia Martin ("Ich freu mich total, es läuft richtig gut."), von der bereits in der Pause die ersten Brocken der Anspannung abzufallen scheinen. Kein Wunder, denn die Leistung der jungen Leute kann sich sowohl sehen als auch hören lassen - professionell gelingen sogar die ins Stück integrierten Gesangseinlagen. Und dabei sind es nicht nur die großen Rollen (Philippe Bilel Hadri als Jonathan, Elena Lorscheid als Lucy, Lisa Oberbillig als Mina), in denen schauspielerisches Talent über den Bühnenrand schwappt. So verleiht Valentin Henning allen seiner drei Rollen reichlich Herzblut - pardon Leidenschaft. Beeindruckend auch die schauspielerische Leistung von Leonie Jaskowski als in der Psychiatrie festgehaltenem und zu Tode therapiertem Vampir Renfield. Herrlich hochtrabend intellektuell wirkt der leichte Sigmatismus (S-Sprachfehler) von Hanna Kilzer, die ihren Professor Van Helsing zum nasalen Besserwisser macht. Generell schlagen sich die überzähligen Mädels bravourös in ihren Männerrollen. Auch wenn gegen Ende allerlei Köpfe rollen - die triumphierend im Weihrauchnebel über die Bühne geschwenkt werden, um der um sich greifenden Vampir-Vielfalt Einhalt zu gebieten, spielt durchaus Situationskomik mit - mal gewollt, mal ungewollt: Präsentiert der vor Stolz berstende Trapper James Boey in gepflegter James-Bond-Manier ("Das ist Boey, James Boey") sein Messer, steht das sicherlich im Drehbuch. Stolpert der Fürst der Finsternis beinahe über einen Grabstein, dann wohl nicht, sorgt aber für Sympathie-Schmunzeln in den Reihen des Publikums. Filmfreak Francis Ford Coppola, der 1992 mit seinem Film "Bram Stokers Dracula" gleich drei Oscars abräumte, hätten in dieser Bühnenversion wohl die Kamera und das literweise fließende künstliche Lebenselixier gefehlt. Eine Tatsache, die Renfield weniger stört. Für ihn zählt eher die Qualität als die Quantität seiner Nahrung: "Lucy kam mir vor wie Tee, den man mit Wasser gestreckt hat - ein dünner Aufguss!" Ähnlich geht es dem Grafen: "Lucy war so etwas wie ein Cocktail." Erst mit Mina, in die er sich verliebt, kommt der Hochgenuss. Weitere Aufführungen am 21. Juni, 23. Juni und 24. Juni jeweils um 20 Uhr im großen Saal der Tuchfabrik.

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