Leserbriefe Das Risiko wächst, die Politik schaut zu

Zur Armutsdebatte diese Meinungen von Daniel Karl, Hartmut Knob und Hans Simon:

Neu-Minister Spahn behauptet, Hartz IV bedeute nicht gleichzeitig Armut. Das ist falsch, Hartz IV ist sogar staatlich angeordnete und gewollte Armut. Die Hartz-Reformen resultierten aus dem Grundproblem, dass jemand, der jeden Tag arbeiten geht, nicht schlechter gestellt werden darf als jemand, dessen Lebensunterhalt durch das Sozialsystem gewährleistet wird.

Nun ist Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in der Amtszeit Angela Merkels zu einem Niedriglohnland geworden. Begründet wird dies mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Durch die niedrigen Löhne wird es schwierig, einen Abstand zwischen einem Lohnempfänger und einem Hartz-IV-Empfänger aufrechtzuerhalten. Daher bedeutet Hartz IV Armut. Ein weiteres Problem verschärft die Lage noch. Wenn ein Staat ein Niedriglohnmodell praktiziert, muss er die Grundkosten für die Bürger niedrig halten. Ein vollkommenes Desaster unter Merkel ist die Wohnpolitik. Nicht nur, dass der Staat es in der Dauerniedrigzinsphase versäumt hat, möglichst jedem Bürger den Erwerb einer eigenen Wohnung als Sicherheit gegen Altersarmut zu ermöglichen (Deutschland hat die mit Abstand niedrigste Eigenheimquote in der EU), er hat das Wohnen durch überhastete Energiewende, Verknappung von Bauland und neoliberales Marktdenken sogar noch extrem verteuert.

Fasst man die beiden Aspekte zusammen, muss man zwangsläufig für deutlich höhere Löhne eintreten, damit das politische Gemeinwesen nicht vollständig auseinanderfliegt. Fast ein Viertel der Bürger hat bei der Wahl für radikale Parteien gestimmt, die sich auch einen Umsturz des demokratischen Systems vorstellen können. Deutschland muss sein Wirtschaftsmodell ändern oder seine Regierung tauschen!

Daniel Karl, Igel

Über sieben Millionen Menschen arbeiten derzeit in einem Minijob. Jeder fünfte Arbeitsvertrag läuft bereits auf dieser Basis.

Seit Januar dieses Jahres können geringfügig Beschäftigte statt bisher 400 Euro 450 Euro verdienen, ohne Steuern und Sozialabgaben zahlen zu müssen. Doch das täuscht darüber hinweg, dass für die meisten der Minijob in eine Sackgasse führt. Denn das Risiko, im Alter arm zu sein, wächst.

Sie füllen Supermarktregale auf, putzen Büros und kellnern in Restaurants – die Zahl der Minijobber wächst seit Jahren. Kleine Arbeitsplätze, große Probleme: Eigentlich sollten die sogenannten Minijobs bloß Nischen füllen. Doch inzwischen sind sie ein Massenphänomen. In einigen Branchen verdrängen sie in großem Stil reguläre Jobs. So arbeitet in Kneipen und Restaurants schon mehr als ein Drittel aller Beschäftigten als geringfügig Beschäftigte, in Supermärkten und anderen Geschäften fast ein Viertel. Trotzdem entsteht mit jedem neuen Minijob keineswegs immer ein zusätzlicher Arbeitsplatz. Viele Minijobber verrichten die Arbeit, die früher regulär Vollbeschäftigte geleistet haben. Das geht aus einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervor.

Wer in einem Minijob arbeitet, erwirbt kaum Ansprüche auf soziale Sicherung. Für zwei Drittel der geringfügig Beschäftigten ist dies das einzige bezahlte Arbeitsverhältnis. Sie haben keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

So bekommen Frauen, die 45 Jahre in Minijobs arbeiten, eine Rente von weniger als 200 Euro monatlich. Minijobs, die seit dem 1. Januar 2013 aufgenommen werden, sind künftig in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Mit einem Eigenbeitrag stocken die Beschäftigten den pauschalen Arbeitgeberbeitrag auf den vollen Rentenversicherungsbeitrag auf. Verdient der Beschäftigte 450 Euro monatlich, so zahlt er einen Eigenbeitrag in Höhe von 17,55 Euro.

Für bestehende Minijobs gilt weiterhin die Regel, dass die Beschäftigten neben dem Pauschalbeitrag des Arbeitgebers keine eigenen Beiträge zahlen. Sie können aber den Arbeitgeberbeitrag freiwillig aufstocken. Dadurch kommen sie in den Genuss des vollen Schutzes der gesetzlichen Rentenversicherung.

Durch einen versicherungspflichtigen Minijob können sie eine Absicherung bei Erwerbsminderung erlangen oder aufrechterhalten. Zudem haben sie dadurch Anspruch auf eine medizinische oder berufliche Rehabilitation. Auf Antrag können sich Beschäftigte von der Zahlung des eigenen Beitrags befreien lassen. Das kann allerdings zu einer Einschränkung des sozialen Schutzes durch die gesetzliche Rentenversicherung führen.

Vor den Wahlen wird viel versprochen, gehalten wird wenig.

Hartmut Knob, Thiergarten

Wenn Armut an einem leeren Bauch gemessen wird, dann hat  Jens Spahn recht, das gibt es in Deutschland wirklich nicht. Alle Bäuche sind gefüllt, aber nicht alle mit Delikatessen, muss aber auch nicht. Wasser, Brot und eine warme Decke können schon Reichtum bedeuten, in vielen Regionen dieser Erde, aber doch nicht im wohlhabenden Deutschland.

Man muss den Sozialstaat nicht weiter ausbauen, sondern man muss den Wohlstand gerechter verteilen. Mit dem Geld, das die Regierung verplempert und in den Sand setzt (auch die Panzer im Wüstensand), lässt sich das untere Niveau auf erträgliche Weise anheben, ohne dass der arbeitende  Steuerzahler zusätzlich belastet wird.

Natürlich muss Geld erarbeitet und erwirtschaftet werden, man darf aber auch nicht alle Menschen, die den Sozialstaat in Anspruch nehmen, als Schmarotzer und Faulpelze bezichtigen. Der Volksmund sagt: Jede gute Firma  kann einen Faulpelz durchschleppen. Ich sage: Unser wohlhabender  Staat  kann einige Faulpelze  ganz locker durchschleppen.

Und für Herrn Spahn: Auch satte Kinder können arm sein.

Hans Simon, Kordel

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