Musik Die Nostalgie bleibt, was sie ist

Trier · Götz Alsmann und die SWR-Bigband feiern ihr zehnjähriges Beisammensein.

 Götz Alsmann.

Götz Alsmann.

Foto: Friedemann Vetter

Die Dame auf Platz 16, neunte Reihe, ist die Einzige unter den rund 400 Besuchern in der Trierer Europahalle, die angemessen gekleidet zum Konzert erschienen ist: schwarzes, wallendes Blumenkleid, schwarze Häkelhandschuhe, Pillbox-Hut mit schwarzer Spitze, die das halbe Gesicht bedeckt. Eine Wiedergängerin der fünfziger Jahre, vielleicht gerade von einer Cocktailparty gekommen, möglicherweise eine entfernte Verwandte von Liselotte Malkowsky.

Liselotte wer? Spätestens seit diesem Abend weiß der Besucher (wieder), dass die aus Hannover stammende Sängerin 1952 das deutsche Liedgut um den Schlager „Der alte Seemann kann nachts nicht schlafen“ bereichert hat. Den Götz Alsmann mit inbrünstigem Ernst zitiert.

Und schon sind wir mittendrin in der Retro-Show, die den Sänger, Pianisten, Moderator und Entertainer gemeinsam mit der SWR-Bigband derzeit durch die Konzerthäuser der Republik führt. Anlass der Nostalgierevue ist das zehnjährige Jubiläum, das die sechzehn Musiker unter Leitung des Pianisten Klaus Wagenleiter mit Deutschlands einzigem Professor für das Schlagerwesen in diesem Jahr begehen. Die 17 Musiker sind Nachfahren und Erben von Erwin Lehn, der 1951 das Südfunk-Tanzorchester des SDR in Stuttgart ins Leben rief und der klingende Beweis dafür, dass unsere Rundfunkgebühren richtig gut angelegt sind. Aus dem SDR ist inzwischen der SWR geworden, die Zeiten ändern sich halt. Aber die Schlager bleiben, und dass sie im Ohr bleiben, dafür sorgt eben Götz Alsmann, Beschützer und Förderer der Werke jener Textdichter und Komponisten, deren Können oft unterschätzt wurde (und wird). Und wenn diese Lieder in frischen Arrangements (Wagenleiter) und mit gehöriger Ironie in der Stimme (Alsmann) vorgetragen werden, können sie einem „Atemlos“ oder ähnlichen Modernismen allemal das Wasser reichen.

Die Schnittstelle zwischen Jazz und Popmusik wollen Alsmann und Wagenleiter nach eigener Auskunft entdecken – und haben dafür tief im Morast der Unterhaltungsmusik gebuddelt. Dabei sind sie auf Preziosen aus einer Zeit gestoßen, in denen die beiden Genres durchaus Schnittmengen aufwiesen – etwa wenn die Band Tommy Dorseys „Opus 1“ intoniert oder Hoagy Carmichaels „Stardust“, bei denen sich die Trompeter Felice Civitareale und Nemanja Jovanovic einen Wettstreit im Sternenfunkeln bieten (wie fast jeder Musiker im Lauf des Abends Gelegenheit erhält, solistisch zu glänzen). Zu nahezu jedem Lied erzählt Alsmann ein paar Dönekens (Ruhrpottdeutsch für „heitere kleine Erzählung, die einen ungewöhnlichen, oft witzigen Ausgang hat“, Wikipedia), sei es zu Bill Haileys „Shake, Rattle and Roll“, aus dem im Deutschen „Simsalabim“ wird, zu Vico Torrianis „Dein Herz ist ein kleines Hotel“ (und das ist ganz und gar nicht zweideutig gemeint, wir sind schließlich in den züchtigen 50ern!) oder zu Eddie Constantines „Schenk deiner Frau doch hin und wieder rote Rosen“. Nicht alles, was Alsmann rund um die Lieder und deren Interpreten zum Besten gibt, würde einer historischen Nachweisbarkeit standhalten. Aber amüsant ist es allemal.

Als Unterstützung hat er die Sängerin Ella Endlich mitgebracht. Die hat zwar eine hübsche Stimme, passt aber mit ihren (ziemlich neuen) Liedern so gar nicht ins Konzept des Nostalgieabends und hat auch sichtlich Schwierigkeiten, den Funken zwischen sich und dem Publikum zum Zünden zu bringen. Das gelingt ihr nicht einmal mit dem Oldie „Ich will keine Schokolade“, zu dem einst die unverwüstliche Trude Herr über die Bühne kugelte und das Publikum zum Toben brachte. Fräulein Endlich schafft gerade mal freundlichen Applaus – der sich nur, wenn sie mit Alsmann im Duett singt („Eventuell“ von Peter Alexander und Catarina Valente oder Bert Kämpferts, „Dankeschön“), hörbar verstärkt.

Das Ende des Abends ist inspiriert von Joseph Haydns „Abschiedssinfonie“. Zu den Klängen des „Erdnussverkäufers“, besser bekannt als „The Peanut Vendor“, packen die Musiker nach und nach ihre Noten und Instrumente und verlassen winkend das Podium, bis zum Schluss nur noch Klaus Wagenleiter am Piano sitzt und einen mild verjazzten Brahms anstimmt: „Guten Abend, gute Nacht“.

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