Eine gute Masche - Stricken ist wieder in

Salach (dpa/tmn) · Zwei links, zwei rechts: Die Deutschen reihen Masche an Masche. Sie machen es im Park, im Café und verabreden sich im Freundeskreis zum Stricken bei einem Glas Wein. Produziert werden Kleider für Mensch und Verkehrsschilder.

Wolle, Nadeln, ein Glas Wein und das Geschnatter der Freundinnen: Stricken ist heute ein Event. Keine einfache Handarbeit, sondern eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Während die Oma einst alleine zu Hause in der guten Stube Maschen aneinanderreihte, tun es die Strickenden heute im Café.

„Es ist ein neues Klientel, das strickt: junge Leute, das Bildungsbürgertum“, sagt Angela Probst-Bajak von der Initiative Handarbeit in Salach in Baden-Württemberg. Gelernt haben sie die Griffe vielleicht in der Schule, danach aber lange keine Nadel in der Hand gehabt. Denn der einstige Zweck der Handarbeit ist heute nicht mehr relevant: „Früher wurde unter ökonomischen Aspekten gestrickt. Selbst gestrickte Kleidung war günstiger als Neuanschaffungen“, erläutert Prof. Peter Wippermann vom Trendbüro Hamburg.

Heute wird stattdessen Geld in das Hobby gesteckt, etwa in teure Wolle. Und so sollen die Handarbeiten wie kleine Kunstwerke bewundert werden - gemacht, um sie zu zeigen. Stricken sei eine „Lifestyle-Beschäftigung“ geworden, sagt Wippermann. „Es ist etwas Handgemachtes in der globalen Welt.“

Die Wiederentdeckung des Strickens als Breitensport begann bereits vor mehr als 30 Jahren. In Zeiten der industriellen Massenproduktion von Kleidung wurden die ersten Maschen öffentlichkeitswirksam 1985 gestrickt - von der Partei Die Grünen im Deutschen Bundestag. Frauen und Männer der Ökobewegung griffen nun zu Wolle und Nadel, berichtet Trendforscher Wippermann.

Richtig angesagt war die Handarbeit aber erst zum Jahrtausendanfang. Die Menschen sehnten sich nach etwas, was sie selbst machen und schaffen können, erläutert Wippermann. Und es war eine andere Klientel, die zur Nadel griff: Die Studenten strickten im Hörsaal, die Physikerin ging zu Stricktreffs, und die Betriebswirtin verabredete sich dazu mit Freunden am Wochenende im Park. Medien berichteten darüber - ein Hype entstand, der sich weiter verbreitete.

Stricken blieb seither beliebt. Aber es war bis 2008 medial weniger präsent, berichtet Wippermann. Und jetzt? Die Handarbeit hat viele Auswüchse bekommen. Strick-Guerillas verzieren Laternenpfosten und Verkehrsschilder, Aktivisten schaffen Pullover für Pinguine, und normale Berufstätige verkaufen im Internet ihre in der Freizeit produzierte Kleidung. Tausende tun sich in Internetforen zusammen, tauschen kostenlos Muster aus und geben Anfängern Anleitungen in Internetvideos.

Und selbst die pingeligen Modebewussten tragen Selbstgestricktes. Aber anders als früher. Strick müsse unbedingt schick wirken, sagt die Modeberaterin Ines Meyrose aus Hamburg. Sonst hafte den Teilen schnell der alternative Ruf vergangener Zeiten an. „Das heißt: Bitte nicht zur ausgewaschenen Jeans tragen - ich will ja nicht wie der 80er-Jahre-Müsli-Esser wirken“, sagt Meyrose.

Die Handarbeit ist wieder in der Gesellschaft angekommen. Aber sie ist nicht das einzige Hobby. „Wir wollen nicht 100 Stunden über einem Teil sitzen“, sagt Probst-Bajak. Deshalb werden inzwischen große Garne verwendet, die man mit großen Nadeln verarbeitet. „Das ist ganz einfach und ganz schnell gemacht.“

Doch Stricken ist inzwischen mehr, als Altbekanntes aufzugreifen und daran Halt zu suchen. „Es ist keine Flucht vor dem Alltag, eher eine Balance“, sagt Wippermann. „Man strickt, verzichtet aber nicht auf das Internet.“ Die schnelle Masche zwischendurch soll einfach ein Ausgleich zum harten Arbeitsalltag sein.

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