Was von den Mythen und Gerüchten um die Gigaliner wirklich stimmt – Ausgewählte Strecken in der Pfalz und am Rhein

Mainz · Ab 2017 sollen die Gigaliner auf rheinland-pfälzischen Autobahnen rollen – dauerhaft vielleicht auf immer mehr Strecken. Kritiker warnen vor den 25,25 Meter langen Riesenlastern. Haben sie mit ihren Sorgen recht?

159 Gigaliner brausen momentan über die Straßen in Deutschland. Um Rheinland-Pfalz müssen die Fahrer einen großen Bogen machen. Noch. Ab 2017 gibt das Land, das sich lange gegen die Riesen-LKW gesträubt hat, erste Strecken frei. Doch um die Gigaliner ranken sich Sorgen. Der TV fragt Experten, was dahinter steckt.

Sind Gigaliner gefährlich?
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) stellt den Riesenlastern ein vernichtendes Urteil aus und empfindet die Länge von 25,25 Metern als bedrohlich - 6,50 Meter mehr als die herkömmlichen LKW. "Gigaliner machen Überholvorgänge unübersichtlich und erhöhen das Unfallrisiko für alle Verkehrsteilnehmer", sagt die Landesvorsitzende Helga Schmadel. Kritisch äußert sich auch der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der die Gigaliner bereits testet und mit Daimler eine Untersuchung in Auftrag gegeben hat. Das Urteil des Ministers: Autofahrer empfinden die Lang-LKW besonders dann als Bedrohung, wenn auf dem rechten Fahrstreifen ganze Kolonnen rollen - und sie nicht mehr einscheren können. 72 Prozent der Deutschen sind nach einer Umfrage im Sommer gegen die Gigaliner.

Bislang fehlt es in Deutschland aber an Zahlen, ob Gigaliner tatsächlich mehr Unfälle auf den Straßen bewirken. Der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) geht eher von weniger Unfällen aus, da mehr Fracht in die Gigaliner passe - und so täglich weniger Laster über die Straßen fahren. Ein Zwischenbericht der Bundesanstalt für Straßenwesen (Bast) zum deutschlandweiten Feldversuch gibt wenig her, wenn es um Unfallgefahr geht. Die Basis an Daten reichte den Forschern nicht aus, ein Urteil zu treffen, ob sich Autofahrer von den Lastern bedroht fühlen. Einen endgültigen Bericht will das Bundesverkehrsministerium noch in diesem Jahr veröffentlichen. Probleme stellte die erste Studie dennoch fest: Nothaltebuchten in Tunneln sind für Gigaliner zu klein, Parkplätze auf Rastplätzen zu kurz. Die Laster ragten so bis auf Zufahrten hinaus und könnten Autofahrer gefährden, kritisiert der VCD.

Zerstören sie die Straßen?
Der noch nicht veröffentlichte Bericht zu den Gigalinern in Deutschland zeige "keinen erhöhten Erhaltungsaufwand für die Infrastruktur", teilt das Bundesverkehrsministerium mit. Der Grund: Das Gewicht der Riesenlaster ist im Feldversuch auf 40 Tonnen begrenzt - so schwer sind auch herkömmliche Laster, sagt Wissing. Straßen, Brücken und Leitplanken seien durch die Lang-LKW so nicht stärker belastet, wie oft vermutet. Im Gegenteil. "Die Gigaliner haben mehr Achsen, die das Gewicht gleichmäßiger verteilen."

Kritiker verweisen häufig auf Gigaliner, die 60 Tonnen oder mehr wiegen. Die fahren bislang in Ländern wie Schweden und Holland, in Deutschland sind sie verboten. "Für ein solches Gewicht wären unsere Straßen wirklich nicht geschaffen", warnt Matthias Schwalbach, Geschäftsführer der Handwerkskammer Trier. Seine Sorge: Durch einen EU-Grenzen überschreitenden Gigaliner-Verkehr, für den sich Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) einsetzt, könnte der Druck wachsen, dass dauerhaft schwerere Brummer durch Deutschland fahren. "Gerade grenznahe Gebiete wie in der Region Trier wären davon betroffen", warnt Schwalbach.

Gefährden sie die Umwelt?
Martin Roggermann arbeitet für die Organisation Allianz pro Schiene. Der Bahnfreund fürchtet, durch Gigaliner verlagern sich Transporte von der Schiene stärker auf die Straße. Das schade der Umwelt. Das rheinland-pfälzische Verkehrsministerium hält dagegen. Zwei Unternehmen im Land - darunter ein Zulieferbetrieb für Daimler - haben sich bislang dafür gemeldet, Lang-LKW einsetzen zu dürfen. Deren Rechnung: Sie sparen mit Gigalinern im Gegensatz zu den herkömmlichen Lastwagen jährlich 12.000 Fahrten, 180.000 Kilometer und 150 Tonnen des klimaschädlichen Kohlendioxids.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) rechnet, dass Gigaliner in zwei Fahrten die Waren liefern können, für die normale Laster drei Touren brauchen. Dies spare Kraftstoff von 25 Prozent ein.
Schöne Zahlen, spottet da die Allianz pro Schiene. Aber in Wahrheit nur ein weiterer Anreiz für Unternehmen, vom Güterverkehr auf die LKW zu wechseln, so sagen sie. Die Organisation rechnet daher mit zusätzlichen 7000 LKW-Fahrten pro Tag auf den deutschen Straßen, sollten die Lang-LKW in den Regelbetrieb gehen - und damit einer Zunahme an Schadstoffen.

Das rheinland-pfälzische Verkehrsministerium widerspricht der Sichtweise. Im Land seien nur Strecken für Unternehmen angemeldet, die ihre Güter schon jetzt nur über die Straße transportieren, sagt Minister Volker Wissing.

Blockieren sie die Straßen?
Volker Wissing verweist darauf, dass bislang nur Strecken auf Autobahnen oder Zuwegen zu Gewerbegebieten angemeldet sind. Durch kleine Dörfer sollten die Gigaliner nicht fahren. Das Bundesverkehrsministerium spricht von einem sogenannten "Posititivnetz", in das nur Strecken eingehen, die für den Einsatz von Gigalinern geeignet seien.
Matthias Schwalbach von der HWK Trier bezweifelt, dass sich alle Lasterfahrer an Verbote halten, wenn sie schnellere Wege finden. Beispiele dafür gibt es schon heute bei Lastwagen, wie bei der Wiltinger Kupp, einer engen Hauptstrecke zwischen Konz und dem Saartal. LKW dürfen hier nicht fahren. Trotzdem blieb ein Sattelschlepper Ende 2015 auf der Straße liegen, als er dort wenden wollte. Eine Spezialfirma befreite das Fahrzeug, die Strecke war stundenlang gesperrt. Höhenbegrenzungen sollen Lastern inzwischen die Durchfahrt verhindern. Doch manche Navigationsgeräte locken ortsfremde LKW-Fahrer immer noch auf die Straße. "Was passiert, wenn der Laster dann gut 25 Meter lang ist?", fragt Schwalbach warnend. Die Grünen-Landtagsabgeordnete Jutta Blatzheim-Roegler (Bernkastel-Kues) erwartet, dass Gigaliner mit modernster Technik ausgestattet sind. Fahrten der Riesenlaster durch Städte und Dörfer lehne sie dauerhaft ab.Ausgewählte Gigaliner-Strecken

... in der Pfalz und am Rhein hat das rheinland-pfälzische Verkehrsministerium beim Bund angemeldet. Diese liegen zwischen Kandel und Wörth, Rohrbach und Wörth, Haßloch und Hockenheim sowie Haßloch und Kandel.

Auf den Autobahnen zwischen diesen Abschnitten dürften 2017 die Riesenlaster rollen. Das Land reagiert dabei auf Unternehmen, die die LKW einsetzen wollen - wie einen Zulieferer für Daimler. Wolfgang Groß-Elsen, Spediteur aus Wittlich, kann sich auch in der Region Trier die Gigaliner vorstellen. "Diese dürften besonders Paketzusteller interessieren, die in den Lastern mehr Fracht verstauen können", sagt er.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort