Die alljährliche Nabelschau vor Dreikönig

Kurz vor dem traditionellen Treffen der FDP in Stuttgart sorgt Ex-Parteichef Gerhardt für Ärger - mit einem Strategiepapier.

Berlin. Verbitterung? Weil er von Guido Westerwelle einst als FDP-Partei- und dann als Fraktionschef entthront worden ist? Parteifreunde, die Wolfgang Gerhardt gut kennen, glauben dies nicht. "Aus purer Eitelkeit" habe Gerhardt, der seit 2006 Vorsitzender der parteinahen Friedrich-Naumann-Stiftung ist, nicht gehandelt. "Der hat immer für Überzeugungen gestanden." Also ein Überzeugungstäter? Jedenfalls bringt das Strategiepapier, das Gerhardt am Mittwoch veröffentlichte, die Liberalen kurz vor ihrem Dreikönigstreffen am Sonntag in Stuttgart in Turbulenzen. Denn es thematisiert ein altes Problem der FDP: Wofür steht die Partei - und vor allem: Wer steht für was?Gerhardts Kritik: Zu kühl, zu oberflächlich

"Die ewige Nabelschau vor Dreikönig zur Lage", stöhnte gestern ein Liberaler. Mancher vermutet dahinter gar Kalkül, denn es ist ruhig geworden um die Partei, die in Zeiten der Großen Koalition besondere Probleme mit der öffentlichen Wahrnehmung hat. Richtig ist, dass die Umfragewerte deutlich gesunken sind. "Derzeit schöpfen wir das Potenzial, das eine freiheitliche Partei in Deutschland erreichen kann, nicht aus", beklagt Gerhardt. Seine Partei sei zu kühl und zu oberflächlich, sie erläutere den Menschen nicht "ihre innere Philosophie". Starker Tobak. 18 Seiten hat er deshalb unter der Überschrift "Für Freiheit und Fairness" über Grundsätze des Liberalismus verfasst. Ein Wachrüttler sozusagen. Oder auch nicht. Manch einer in der FDP fühlt sich an ein ähnliches Papier Gerhardts aus dem Jahre 2004 erinnert. Konkrete Vorschläge, wie es mit der Partei wieder bergauf gehen kann, habe man schon damals vergeblich gesucht, heißt es. Dennoch ärgert man sich in der Parteizentrale, denn für die Liberalen steht in diesem Jahr viel auf dem Spiel: In Niedersachsen gilt es, die Regierungsbeteiligung bei den Wahlen in wenigen Wochen zu verteidigen, in Hessen will man auf die Regierungsbank springen und in Hamburg in die Bürgerschaft einziehen. Dass ausgerechnet nun der Hesse und Wahlkämpfer Gerhardt zu Beginn der heißen Phasen in die eigenen Reihen schießt, wird mit viel Unverständnis aufgenommen. Gerhardt kritisiert, dass die Partei gerade mit Blick auf die Bundestagswahl 2009 nicht als Mannschaft "mit vielen kompetenten Spielern" wahrgenommen werde. In der Tat, in Ländern wie in NRW funktioniert die Verknüpfung von Themen mit Köpfen einigermaßen, in Niedersachsen hingegen schon weniger - und in Berlin so gut wie gar nicht. Westerwelle, der eigentlich Gemeinte, ging gestern zunächst in Deckung, wurde dann aber doch deutlich: "Die Arbeit der FDP kann so schlecht nicht sein, wenn wir bei den Wahlen regelmäßig hinzugewinnen." Liberale Sehnsucht Gestern konnten in Berlin Autofahrer eine Stunde lang steuerfrei an einer Tankstelle tanken - eine nette Aktion der FDP, Abteilung Strategie und Kampagnen. Das alles, um die Notwendigkeit einer Steuerstrukturreform in Deutschland zu verdeutlichen. Was werden sich die Autofahrer wohl gedacht haben? Tolles inhaltliches Profil, diese FDP - oder: Hauptsache, der Tank ist günstiger voll? Letzteres. Wenn man Wolfgang Gerhardt ernst nimmt, sind es genau solche Aktionen, die die Solidität des FDP-Liberalismus in den letzten Jahren infrage gestellt haben. Aber muss man Gerhardt ernst nehmen? Inhaltlich ist sein Strategiepapier wenig wegweisend, weil es keine neuen Akzente setzt. Wie soll denn die FDP an Profil gewinnen, zerdrückt von einer Großen Koalition? Das für den Vorsitzenden eigentlich Gefährliche ist etwas Grundsätzliches: Gerhardt bedient mit seinem Papier die in der FDP verbreitete Sehnsucht nach liberaler Überzeugung, nach klarer programmatischer Linie. Stets Westerwelles Schwäche - und Gerhardts Stärke. Westerwelles Trumpf bleibt, dass zu Gerhardts Zeiten die FDP längst nicht so erfolgreich gewesen ist wie jetzt. Ändert sich das bei den anstehenden Landtagswahlen, wird die Kritik an ihm ohnehin neu aufflammen. nachrichten.red@volksfreund.de

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