"Haus des Friedens, nicht Haus des Sterbens"

Menschen einen würdigen Rahmen für die letzten Wochen ihres Lebens zur Verfügung zu stellen: Das ist die Aufgabe des Hospizhauses in Trier. Öffentlichkeit ist dabei meistens fehl am Platz. Aber um die Arbeit der Institution bekanntzumachen und Berührungsängste abzubauen, hat das Hospizhaus seine Türen für eine TV-Reportage geöffnet. Und Angehörige waren bereit, über ihre Erfahrungen zu berichten.

Trier. Vor der Tür des Zimmers im ersten Stock liegt eine Rose. Eines von vielen Ritualen im Hospizhaus. Es zeigt, dass dort gerade ein Mensch gestorben ist. "Am Anfang habe ich das gar nicht verstanden und mich gewundert, warum die Blume auf dem Boden liegt", erzählt Wieland Eßling. Am Anfang, das war im März 2007, als seine Mutter im Hospiz einzog. "Der Laden", wie Eßling liebevoll-rustikal sagt. Fünf Monate war die 77-Jährige hier, bevor sie im Spätsommer starb. Zeit genug für ihren Sohn, die anfängliche Beklommenheit gegenüber der Einrichtung abzulegen. So geht es fast allen Angehörigen. Die Schwelle, mit dem Umzug ins Hospiz den nahenden Tod des Vaters, der Mutter oder des Ehepartners zu akzeptieren, ist hoch. Der Vorgang hat etwas Mythisches, rational schwer Fassbares. "Meine Mama ins Sterbehaus: Das kann doch nicht sein", sagte sich Karin dall'Agnol, als die Frage bei ihrer Mutter anstand. Die 90-Jährige war nach einem schweren Sturz ins Krankenhaus gekommen, die Ärzte konnten nichts mehr für sie tun, sie realisierte nicht mehr, wo sie war. Um den Menschen kümmern, nicht um die Krankheit

Die Tochter musste also die Entscheidung für sie treffen. Der Sozialdienst empfahl das Hospizhaus, Karin dall'Agnol gehorchte eher der Not als der Überzeugung. In ein Pflegeheim wollte sie ihre Mutter nicht geben, eine häusliche Rundum-Versorgung hätte sie nach einer eigenen schweren Erkrankung überfordert. Aber da blieb die Unsicherheit: "Ich habe mich dauernd gefragt, ob es wirklich das beste für meine Mutter ist". Die Antwort kam prompt: "Als ich gesehen habe, wie hier gearbeitet wird, wusste ich, dass die Entscheidung richtig war". Angesichts der liebevollen Betreuung und der kompetenten Hilfe habe sie das Hospiz "als Haus des Friedens empfunden und nicht mehr als Haus des Sterbens".Für Ingrid Embach war die Entscheidung leichter, denn ihre Mutter nahm sie ihr ab. Die Krebspatientin, körperlich todkrank, aber geistig topfit, verbrachte die letzten fünf Wochen ihres Lebens auf eigenen Wunsch im Hospiz. "Sie kannte das Haus aus der Zeitung und hat sogar dem Krankenwagenfahrer den Weg hier hin gezeigt", erinnert sich die Tochter. Ihre Mutter habe sich nach eigener Aussage "wie eine Prinzessin auf der Erbse" gefühlt, umsorgt und umhegt. Die Familie kam täglich zu Besuch, es gab viel Zeit für Gespräche und das Abschiednehmen. Weil die Hospiz-Mitarbeiterinnen die Pflege übernahmen, "konnten wir uns um den Menschen selber kümmern statt um die Krankheit", sagt Ingrid Embach. Die Atmosphäre im Hospiz schafft Freiräume gegen die lähmende Bedrückung im Umfeld des Todes. "Es wird viel gelacht hier im Haus, und niemand findet es unpassend", erzählt die Ärztin Elisabeth Georg, die regelmäßig Patienten im Hospiz begleitet. "Auch wenn es paradox klingt: Es war schön hier", sagt Wieland Eßling, der auch nach dem Tod seiner Mutter noch andere Bewohner des Hospizes besucht hat. Die Möglichkeit, sich mit anderen Angehörigen auszutauschen, wird durch die offene Art des Hospiz-Betriebes gefördert. Man trifft sich in der Kaffeeküche oder auf der Terrasse. "Eine kleine Gemeinschaft für sich" nennt das Wieland Eßling, und es sei "enorm wichtig für die Angehörigen, zu sehen, dass man nicht alleine in dieser Situation ist".Auch den Betroffenen selbst steht diese Möglichkeit offen, aber die wollen oft in Ruhe ihren Gedanken nachhängen. "Zum Glück bleibt die Privatsphäre gewahrt", hat Ingrid Embach beobachtet. Aber oft können Pfleger und Ärzte auch dazu beitragen, Gesprächsbarrieren abzubauen, die es gerade unter Paaren manchmal gibt. Elisabeth Georg schildert den Fall eines Mittvierziger-Ehepaars, die "einfach nicht in der Lage waren, darüber zu reden, dass einer von beiden bald stirbt". Es bedurfte des Anstoßes von außen. "Manches kann ein Außenstehender einfach besser sagen", weiß die Medizinerin.Der Wille des Betroffenen steht im Mittelpunkt

Doch niemandem wird etwas aufgezwungen. "Der Wille des Betroffenen steht im Mittelpunkt unseres Handelns", versichert Sieglinde Groß, die Leiterin des stationären Hospiz, "selbst wenn das die Angehörigen manchmal irritiert". Ganz spannungsfrei geht das nicht immer zu. "Auch wenn jemand todkrank ist, ist er noch kein Heiliger", sinniert Karin dall'Agnol.Der Respekt vor den Wünschen der Bewohner gilt übrigens auch dann, wenn sie auf Außenstehende etwas eigenwillig wirken. Eine Zigarre und einen Capuccino habe sich ein älterer Herr gewünscht, erzählt Sieglinde Groß. "Natürlich hat er beides gekriegt". Man setzte sich zum Qualmen und Kaffeetrinken gemeinsam auf den Balkon, Familie, Pfleger und Patient. Ein Moment, der sich ins Gedächtnis eingebrannt hat. Zwei Tage später lag eine Rose vor der Tür. Oder Frau D., die ihren früheren Hund Bimbo vermisst. Unter den Ehrenamtlichen des Hospiz-Vereins findet sich eine Betreuerin, die Frau D. regelmäßig mit ihrem Vierbeiner besucht. Flexibilität geht vor Hausordnung. Bei der Aufarbeitung des Unbegreiflichen helfen viele kleine Rituale im Hospizhaus. Räume, Zeichen, Bilder - aber auch das große Abschieds-Buch, das gleich unten im Foyer liegt. Man muss nicht nahe am Wasser gebaut sein, um ein Taschentuch zu brauchen, wenn man die Eintragungen liest, die Fotos sieht, die Gemälde der Kinder. "Liebe Mama, ich weiß, jetzt geht es Dir besser - aber dennoch ist es kaum zu ertragen, dass Du nicht mehr hier bei uns bist", steht da. Was man aufgeschrieben hat, lässt sich leichter fassen. "Man hat mir in diesem Haus unendliche Ängste genommen", sagt Karin dall'Agnol. Und doch gibt es von außen viele Hemmschwellen. Nicht nur bei Betroffenen und ihren Angehörigen, auch bei Ärzten, Pflegern oder in den Krankenhäusern. Oft fehlt der frühzeitige Hinweis auf die Möglichkeiten, die das Hospizhaus bietet. "Die Einrichtung ist bei meinen Kollegen in der Region noch nicht bekannt genug", vermutet Elisabeth Georg. Aber vielleicht wolle auch mancher Arzt "nicht gern mit diesem Thema konfrontiert werden". Ingrid Embach und Wieland Eßling wollen mit ihrer Offenheit dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen. Schließlich, so sagen sie, "würden wir über das Hospizhaus vielleicht anders denken, wenn wir es nie kennengelernt hätten".

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