Kostendämpfung statt Recht

Man kann das Unbehagen förmlich mit Händen greifen, das Richter, Staatsanwälte und Verteidiger überfällt, wenn es um den berühmten "Deal" geht. Und trotzdem praktizieren sie ihn alltäglich. Weil ihnen die Kluft zwischen dem aufwendigen Vorgang, die Wahrheit tatsächlich in allen ihren Facetten ans Licht zu bringen und ihren realen personellen und organisatorischen Ressourcen keine Wahl lässt.



Das Problem ist nur, dass die Vorstellung von Gerechtigkeit und damit auch die Herstellung von Rechtsfrieden in unserer Gesellschaft untrennbar mit dem Anspruch verbunden ist, die Wahrheit - so weit möglich - zu kennen. Wir sind nicht die USA, wo es einen mentalitätsmäßigen Grundkonsens darüber gibt, dass letztlich derjenige recht hat, der gewinnt.

Hierzulande betrachtet man es nicht als Neid, wenn die Bürger den Anspruch haben, dass zumindest vor dem Strafgesetz der Habenichts mit seinem Pflichtverteidiger und der Bankdirektor mit seinen Star-Anwälten gleich sind. Die Praxis des cleveren Aushandelns von Urteilen wird die in diesem Bereich ohnehin vorhandenen Ungleichgewichte massiv zuungunsten der "Kleinen" verschieben.

Aber die Gefahr lauert auch umgekehrt: Dass Angeklagte ob der wachsenden Schere zwischen der milden "Rabatt-Strafe" und der Quittung für Renitenz in schwieriger Beweislage alles Mögliche gestehen, um nicht ins Gefängnis zu müssen.

Das Schachern um ein Urteil passt nicht zum deutschen Strafprozess. Trotzdem kann es seinen Sinn haben. Etwa, wenn ein gegen zugesagte Milde abgegebenes Geständnis dem Opfer, zum Beispiel bei einer Sexualstraftat, die Aussage erspart. Oder wenn ein endloses Verfahren, bei dem die in der Beweisaufnahme festgestellten Ergebnisse längst für ein Urteil an der Höchstgrenze reichen, unnötig Kapazitäten bindet.

Das neue Recht versucht, solche Vorgänge aus der Grauzone herauszuholen. Das ist grundsätzlich richtig, birgt aber auch die Gefahr, dass das, was bislang halbwegs schamhaft unter dem Signum des Sonderfalls stattgefunden hat, künftig mit offiziellem Stempel zur bequemen Standardform der Rechtsfindung wird.

Deshalb müsste der erste Satz des Gesetzes lauten, dass es nur in höchst sorgfältig abgewogenen Einzelfällen zur Anwendung kommen darf.

Aber das kann nur funktionieren, wenn Gerichte und Ermittlungsbehörden so ausgestattet sind, dass sie tatsächlich eine Wahl haben. Danach sieht es nicht aus. Und eine wirksame, Ressourcen freisetzende Entbürokratisierung der Verfahren ist nicht in Sicht. So wird die anstehende Neuregelung den Verdacht nicht los, ein verbrämtes Kostendämpfungsgesetz im Justizwesen zu sein. Und so was kann, wie man auf dem Gesundheitssektor sieht, nach hinten losgehen.

d.lintz@volksfreund.de

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