Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt: Grüne triumphieren, AfD zweitstärkste Kraft

Stuttgart · Ein Alptraum wird für die CDU Realität. In ihrer einstigen Bastion Baden-Württemberg wird sie von den Grünen als stärkste Kraft überholt. Doch wer das Land künftig regiert, ist noch offen. In Sachsen-Anhalt wurde die AfD zweitstärkste Kraft.

 AfD-Politiker Alexander Gauland wertet die Erfolge seiner Partei als klare Absage an die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel. Foto: Jens Wolf

AfD-Politiker Alexander Gauland wertet die Erfolge seiner Partei als klare Absage an die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel. Foto: Jens Wolf


Update 20:12 Uhr: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hat sich nach seinem Wahlsieg vom Abschneiden der AfD betroffen gezeigt. Gleichzeitig sieht er einen klaren Auftrag zur Regierungsbildung: „Wir werden in Sachsen-Anhalt eine starke Regierung der Mitte bilden.“ Er wies darauf hin, dass in Deutschland das Spektrum für Regierungsbildungen durcheinander gekommen sei. Die rechtspopulistische AfD kam aus dem Stand auf etwa 23 Prozent und ist damit zweitstärkste Kraft. Die schwarz-rote Koalition kann wegen der Schwäche der SPD nicht weiter regieren.

In Baden-Württemberg tritt das schier Unvorstellbare ein: Die Grünen mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann gehen ersten Zahlen zufolge am Sonntag als stärkste Kraft aus der Landtagswahl hervor. Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Guido Wolf muss sich in dem Land, das sie bis 2011 rund 58 Jahre lang regiert hat, wohl mit dem zweiten Platz zufriedengeben. Für die Christdemokraten ist das ein beispielloses Desaster. Für die Fortsetzung der grün-roten Regierung reicht es wahrscheinlich aber auch nicht.

Denn es gibt noch einen zweiten großen Verlierer: Die SPD, bislang Koalitionspartner der Grünen, büßt im Vergleich zu 2011 massiv an Stimmen ein und fährt in Baden-Württemberg das schlechteste Ergebnis aller Zeiten ein. Sie dürfte ebenso wie die CDU viele Wähler an die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) verloren haben, die wohl mit einem zweistelligen Ergebnis ins Parlament einzieht.

Die Grünen vor der CDU - das ist eine Sensation. Vor fünf Jahren sah es danach aus, als ob der CDU-Machtverlust nur ein „Betriebsunfall“ war - bedingt durch die Atomkatastrophe im japanischen Fukushima, den Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21 und das autoritäre Gebaren des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus.

Nun sind die Grünen in Baden-Württemberg dreimal so stark wie im Bund. Der erste Grünen-Ministerpräsident nutzte die Zeit an der Macht, um sich zu einer echten Alternative für einstige CDU-Wähler im konservativen Ländle zu entwickeln: Er gibt sich authentisch, pragmatisch, bodenständig, wertkonservativ und auf Konsens bedacht.

Der 54 Jahre alte CDU-Herausforderer Wolf blieb neben dem 67-Jährigen Kretschmann blass und fiel im Wahlkampf auch nicht mit zündenden Ideen auf. Und die SPD wurde im Zweikampf zwischen Kretschmann und Wolf förmlich zerrieben. Nun könnten die Tage von SPD-Landeschef Nils Schmid, der auch Spitzenkandidat war, gezählt sein - es sei denn, er schafft es mit seiner Partei doch noch in die Regierung.

Das Wahlergebnis ist zum Großteil auch bestimmt von der Flüchtlingskrise. Die AfD profitiert von der Unzufriedenheit vieler Menschen mit dem Thema. Die Südwest-CDU präsentierte sich beim Flüchtlingsthema als zerrissene Partei. Ihre Vertreter waren einerseits darauf Bedacht, den offenen Konflikt mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu vermeiden. Andererseits gab es Sympathie für den rigideren Kurs von CSU-Chef Horst Seehofer. CDU-Spitzenkandidat Wolf lavierte zwischen den Polen. Er fiel zeitweise Merkel in den Rücken, während diese eine Lösung auf europäischer Ebene suchte. Kretschmann stellte sich hingegen klar und demonstrativ an die Seite der Bundeskanzlerin.

Bei der CDU-Fraktion im Landtag herrschte nach Bekanntgabe der Prognosen eisiges Schweigen. Erst als angezeigt wurde, dass Grün-Rot wohl keine Mehrheit zum Weiterregieren hat, gab es etwas Applaus.

Wenn es nicht doch noch für Grün-Rot reicht, wäre theoretisch ein Dreierbündnis möglich - eine Ampel aus Grünen, SPD und FDP oder eine Deutschlandkoalition aus CDU, SPD und FDP. Doch die Liberalen wollen eigentlich keine gemeinsame Sache mit Grün-Rot machen. Und die SPD zeigt wenig Bestreben, sich der CDU und der FDP anzudienen. Damit könnte es in Baden-Württemberg auf eine grün-schwarze Koalition hinauslaufen - das wäre dann eine deutschlandweite Premiere.

Kretschmann selbst hat bereits früher ernsthaft mit Bündnissen aus CDU und Grünen geliebäugelt. 2006 sondierte er mit dem damaligen Regierungschef Günther Oettinger (CDU) die Chancen einer schwarz-grünen Koalition im Land. Der damalige CDU-Fraktionschef Mappus machte dem Treiben dann ein Ende.

Update 19 Uhr:
In BADEN-WÜRTTEMBERG lagen die Grünen mit dem auch bei konservativen Wählern geschätzten Regierungschef Kretschmann bei 32 bis 32,5 Prozent (2011: 24,2) - und schoben sich damit in der einstigen CDU-Hochburg vor die Christdemokraten. Diese brachen mit ihrem eher blassen Spitzenkandidaten Guido Wolf völlig ein und wurden mit 27,5 Prozent (39,0) erstmals seit Gründung des Bundeslandes nicht stärkste Partei. Auch die SPD fuhr mit 13 Prozent (23,1) ihr mit Abstand schlechtestes Wahlergebnis im „Ländle“ ein. Eine Zäsur für die Volksparteien: Selbst für beide zusammen reicht es nicht. Die AfD errang aus dem Stand 12,5 Prozent. Die seit der verlorenen Bundestagswahl 2013 schwächelnde FDP konnte sich mit rund 8 Prozent (5,3) im Landtag halten. Die Linke kam nicht in den Landtag.

Demnach sah die Sitzverteilung so aus: Grüne 45 bis 48, CDU 37 bis 41, SPD 18 bis 19, FDP 11 bis 12, AfD 17 bis 18.

Damit käme ein Bündnis von Grünen und CDU in Frage. Rechnerisch wären auch Dreierbündnisse mit der FDP möglich: Einer rot-gelb-grünen Ampel stehen allerdings die Liberalen skeptisch gegenüber, einer nur knapp möglichen sogenannten Deutschland-Koalition von CDU, SPD und FDP die Sozialdemokraten. Mit der im Zuge der Flüchtlingskrise aufgestiegenen AfD will in allen drei Ländern keine andere Partei koalieren.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat nach dem Wahlsieg Anspruch auf die Regierungsbildung in Stuttgart erhoben.

In SACHSEN-ANHALT blieb die seit 2002 regierende CDU mit Ministerpräsident Reiner Haseloff zwar annähernd stabil bei 29 bis 30,5 Prozent (2011: 32,5) und verteidigte ihre Position als stärkste Partei. Allerdings stürzte ihr Juniorpartner SPD wie in Baden-Württemberg ab: 11,5 bis 12 Prozent waren für eine Fortsetzung der Koalition zu wenig. Die Linke fiel mit nur noch 16,5 bis 17 Prozent (23,7) hinter die AfD als neue Nummer zwei zurück. Die Grünen bangten am Abend mit 5 bis 5,5 Prozent (7,1) um den Verbleib im Landtag. Auch die zuletzt dort nicht vertretene FDP musste mit 5 Prozent (3,8) zittern.

Damit würden die Mandate wie folgt verteilt: CDU 36 bis 43, SPD 14 bis 16, Grüne 7, Linke 20 bis 22, FDP 6 bis 7, AfD 27 bis 29.

Wegen des extrem starken AfD-Abschneidens hing maßgeblich vom Ergebnis der beiden kleinen Parteien ab, ob es für eine Wiederauflage von Schwarz-Rot in Magdeburg reicht. Ohne Grüne und FDP im Landtag, wäre der Weg dafür möglicherweise frei. Sollte eine von beiden Parteien im Endergebnis über der Fünf-Prozent-Hürde liegen, würde es eng; in dem Fall wären Dreier- oder gar Viererbündnisse denkbar.

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