"Man muss mit den Taliban verhandeln"

Wenige Tage vor der Londoner Afghanistan-Konferenz lobt der frühere UN-Sonderbeauftragte Tom Koenigs die neue amerikanische Strategie am Hindukusch. Im Interview mit unserer Zeitung äußerte sich der Grünen-Politiker zu möglichen Abzugsplänen.

Berlin. Der einstige UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Tom Koenigs, begrüßt die neue Strategie der US-Regierung für Afganistan. Von Deutschland verlangt Koenigs, mehr für die Ausbildung der Polizei des Landes zu tun. Mit dem grünen Bundestagsabgeordneten, der gestern 66 Jahre alt wurde, sprach unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff.

Worum geht es bei der Afghanistan-Konferenz am Donnerstag in London?

Koenigs: Die Strategie der Amerikaner hat sich grundlegend verändert, aus Sicht der Grünen in die richtige Richtung. Diese Veränderung muss nun von den anderen Nationen nachvollzogen werden. Die Amerikaner wollen die Region als Ganzes betrachten, also inklusive der Nachbarstaaten, und dort aktive Diplomatie betreiben. Sie machen den Schutz der Bevölkerung zum obersten Gebot in allen militärischen Aktionen, und sie suchen eine politische Lösung für Afghanistan.

Aber sie schicken auch mehr Soldaten. Muss Deutschland dem folgen?

Koenigs: Die Amerikaner erwarten von den Deutschen vor allen Dingen, dass sie mehr für die Ausbildung der afghanischen Polizei tun. Das ist in der Tat notwendig. Denn hier haben wir quantitativ nicht das gebracht, was wir in der Polizeiausbildung versprochen hatten.

In der deutschen Debatte wird 2015 als mögliches Abzugsdatum genannt. Ist das realistisch?

Koenigs: Die Amerikaner haben angekündigt, dass sie 2011 mit der Truppenreduzierung beginnen wollen. Wann aber der letzte amerikanische Soldat oder auch deutsche Soldat Afghanistan verlässt, das kann man nicht voraussagen. Das hängt wirklich davon ab, wann die afghanischen Soldaten und Polizisten selbst für Sicherheit in Afghanistan sorgen können. Aber auch wenn keine deutschen Soldaten mehr im Land sind, müssen wir im zivilen Aufbauprozess engagiert bleiben - in großem Maßstab und langfristig.

Kann und muss man mit den Taliban verhandeln?

Koenigs: Es kann nur eine politische Lösung in Afghanistan geben, keine militärische. Deshalb muss man mit dem Gegner verhandeln.

Was halten Sie von einem Aussteigerprogramm, wie es offenbar Guido Westerwelle vorschwebt?

Koenigs: Denkbar. Aber es ist eine Sache der Afghanen, so ein Programm zu entwerfen, denn sie kennen die Taliban besser als wir. Das ist eine sehr heterogene Bewegung, vom radikalen Selbstmordattentäter bis zum Mitläufer, die Raum für Verhandlungen und Bündnisse lässt.

Bei der letzten Mandatsverlängerung im Herbst 2009 haben sich die Grünen enthalten. Wie sollen sie Ihrer Meinung nach jetzt stimmen?

Koenigs: Es haben damals auch etliche mit Bedenken dafür gestimmt, wie ich zum Beispiel. Andere waren dagegen. Das wird bei einem neuen Mandat wieder so sein, denn der Regierungsentwurf wird allen Anzeichen nach richtige wie falsche Elemente enthalten. Die Frage, ob wir zustimmen oder ablehnen, hat aber noch eine weitere Dimension: Der Einsatz findet unter einem UN-Mandat statt. Wenn man ihn ablehnt, verlässt man nicht nur die Afghanen, sondern man entzieht sowohl den Vereinten Nationen als auch den Bündnispartnern das Vertrauen, auch den Amerikanern unter Präsident Obama, der ausdrücklich die Vereinten Nationen und diplomatische Lösungen unterstützt - was nicht selbstverständlich ist für US-amerikanische Präsidenten. Das ist eine schwerwiegende Entscheidung.

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