Kassen halten sich an Mitgliedern schadlos

Die DAK gehört ebenso dazu wie einige Betriebskrankenkassen: Die Krankenversicherer verlangen in den nächsten Monaten Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern, weil sie mit dem Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht mehr auskommen.

 Die DAK fordert von ihren Mitgliedern acht Euro mehr Kassenbeitrag pro Monat für die Krankenversicherung, TV-Foto: Friedemann Vetter

Die DAK fordert von ihren Mitgliedern acht Euro mehr Kassenbeitrag pro Monat für die Krankenversicherung, TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Überraschend kam die Ankündigung gestern nicht. Dass die ersten gesetzlichen Kassen bereits in Kürze einen monatlichen Zusatzbeitrag von ihren insgesamt rund neun Millionen Mitgliedern verlangen, war seit Wochen bekannt. Überraschend ist allenfalls, dass es "nur" so wenige Kassen sind, die sich zunächst einmal aus der Deckung wagen. Denn dass sie lediglich die Vorhut bilden und andere, auch die großen Versicherer, ihnen folgen werden, daran besteht für Experten kein Zweifel. Es führe kein Weg an Zusatzbeiträgen bei allen 170 Kassen vorbei, sagt Armin Lang. Der saarländische SPD-Politiker ist Chef des rheinland-pfälzischen Ersatzkassenverbandes, der die Interessen von Kassen wie der gerade erst fusionierten Barmer/GEK, der Techniker Krankenkasse (TK) oder der DAK vertritt. Letztere gehört zu den Kassen, die gestern angekündigt haben, einen Zusatzbeitrag von acht Euro pro Monat von ihren rund 6,4 Millionen Versicherten zu erheben. Bereits ab Februar will die DAK ihre Versicherten zur Kasse bitten.

Beitrag von über 40 Prozent?



Für den Trierer Gesundheitsökonomen Eckhard Knappe ist das kein Tabubruch. Die Möglichkeit, Zusatzbeiträge zu erheben, sei politisch gewollt. Der von der vorherigen Bundesregierung auf die Schiene gesetzte Gesundheitsfonds lege fest, wann eine Kasse zu diesem Mittel greifen dürfe. Falls die aus dem Fonds zugewiesenen Beiträge für einzelne Kassen nicht mehr ausreichend sind, dürfen sie zusätzliche Beiträge von ihren Mitgliedern erheben. Bis zu acht Euro im Monat können sie unbürokratisch, allerdings nur mit Zustimmung der Versicherten, einziehen. Maximal ein Prozent (höchstens 37 Euro) im Monat darf der Zusatzbeitrag betragen. Das setzt aber eine komplizierte Einkommensprüfung der Versicherten voraus - davor scheuen zumindest die mitgliederstarken Kassen noch zurück. Noch. Denn für Gesundheitsökonom Knappe ist klar, dass die Kassen bei den Zusatzbeiträgen ihren kompletten Spielraum ausschöpfen werden. "Und wenn sie dann immer noch nicht mit dem Geld auskommen, dann müssen die allgemeinen Beiträge erhöht werden." Der einheitliche Beitragssatz für alle gesetzlich Versicherten liegt derzeit bei 14,9 Prozent. Knappe geht davon aus, dass dieser Satz in den nächsten 20 Jahren aufgrund rückläufiger Geburtenzahlen und damit weniger Beitragszahlern auf "knapp unter 20 Prozent" steigen wird. Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP), ist sich sicher, dass die Beiträge ohne Gegensteuern auf bis über 40 Prozent im Jahr 2050 steigen werden.

Trotz einer staatlichen Finanzspritze von rund vier Milliarden Euro fehlen den Kassen laut Berechnungen ihres Spitzenverbandes im laufenden Jahr weitere vier Milliarden Euro. Aufgrund steigender Arbeitslosigkeit werde das Defizit im nächsten Jahr noch größer, sagt Verbandschef Lang. Er fordert neben Preissenkungen und einer niedrigeren Mehrwertsteuer für Arzneimittel zusätzliche Steuermittel für die gesetzlichen Krankenkassen.

Neben den Kosten für Arzneimittel sieht Wolfram-Arnim Candidus auch eine Mitschuld der "dämlichen Politiker" am Defizit und damit an den Zusatzbeiträgen. Trotz Wirtschaftskrise und steigender Arbeitslosigkeit habe die Große Koalition im Sommer vergangenen Jahres rechtzeitig vor der Bundestagswahl den einheitlichen Beitragssatz von 15,4 auf 14,9 Prozent gesenkt, kritisiert Candidus im Gespräch mit unserer Zeitung. "Ein teures Wahlgeschenk, das die Kassen neun Milliarden Euro gekostet hat." Ein Geschenk, das nun auch die gesetzlich Versicherten zahlen müssen - und zwar nur die Versicherten. Denn die Zusatzbeiträge werden im Gegensatz zum allgemeinen Beitrag nur von den Mitgliedern, nicht aber von den Arbeitgebern erhoben.

Experten gehen davon aus, dass selbst Kassen wie TK oder Barmer/GEK, die derzeit noch auf Zusatzbeiträge verzichten, spätestens im kommenden Jahr ihre Mitglieder zur Kasse bitten werden. "Für dieses Jahr schließen wir das aus", sagt Holger Dieter von der TK Rheinland-Pfalz. Bei der AOK ist man sich da noch nicht so sicher. Hintergrund Gesundheitsfonds: Die gesetzlichen Krankenkassen gehen davon aus, dass in diesem Jahr 7,9 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds fehlen werden. Grund dafür sind geringere Einnahmen durch gestiegene Arbeitslosenzahlen. Arbeitslose zahlen keinen Kassenbeitrag. Daher erhält der Fonds vom Bund einen einmaligen Zuschuss von 3,9 Milliarden Euro. Es bleibt ein Minus von vier Milliarden Euro. Wie hoch die Ausgaben aber tatsächlich sein werden, erfahren die Kassen erst im nächsten Jahr. (wie)Extra Sonderkündigungsrecht: Erhebt eine gesetzliche Krankenkasse Zusatzbeiträge, besteht für die Versicherten ein Sonderkündigungsrecht. Doch ganz so einfach ist die Kündigung der Mitgliedschaft nicht. Hat man sich zum Beispiel für einen Sondertarif entschieden, etwa für eine Beitragsrückerstattung, wenn man die Kasse nicht in Anspruch genommen hat, ist man nach Abschluss des Vertrages drei Jahre an die Kasse gebunden und kann nicht einfach kündigen. Wer eine private Zusatzversicherung über seine Kasse abgeschlossen hat, kann zwar kündigen, die Zusatzversicherung läuft weiter, aber eventuell wird dann dafür ein höherer Beitrag fällig. (wie)

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