Respektabler Kompromiss

Wer sich noch an das Tohuwabohu bei der Gesundheitsreform erinnert, der muss die Entstehungsgeschichte zum Pflegekompromiss geradezu als wohltuend empfinden. Tatsächlich haben Union und SPD vergleichsweise geräuschlos gearbeitet und obendrein noch eine respektable Vorlage zustande gebracht.

Erstmals seit ihrer Einführung vor nunmehr zwölf Jahren wird die Pflegeversicherung zumindest auf der Leistungsebene grundlegend neu gestaltet: Die ambulante Versorgung der Pflegebedürftigen genießt künftig Vorrang. Das ist ganz im Sinne der Betroffenen, die so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung bleiben möchten, anstatt in Heime abgeschoben zu werden. Auch die Pflegesätze werden endlich dynamisiert. Heute basieren sie noch auf Preisen von 1995. Ein völlig absurder Zustand. Denn die Folge davon ist, dass immer mehr Menschen neben ihrer Rente und den Leistungen aus der Pflegekasse auf Sozialhilfe angewiesen sind. Dabei wurde die Pflegeversicherung auch deshalb ins Leben gerufen, um diesen Trend nachhaltig umzukehren. Dass sich SPD und Union nach wie vor über eine zusätzliche bezahlte Auszeit im Pflegenotfall zanken, ist eher ein politischer Nebenkriegsschauplatz, der das Erreichte ohne Not relativiert. Wer es ernst damit meint, eine gute Pflege für seinen Verwandten zu finden, der wird auch einen kurzzeitigen Verdienstausfall in Kauf nehmen. Die eigentlichen Defizite des Reformentwurfs liegen tiefer: So begrüßenswert die Leistungsverbesserungen sind, so unbefriedigend bleibt die Art ihrer Finanzierung. Für mehr als eine bloße Anhebung des Pflegebeitrags hat der koalitionäre Konsenswille nämlich nicht gereicht. Das ist sehr kurzsichtig. Schon heute sind über zwei Millionen Menschen auf die Pflegeversicherung angewiesen. Tendenz stark steigend. Das verbesserte Leistungsspektrum wird den Kostendruck noch erhöhen. Umso mehr stellt sich die Frage, ob die strikte Trennung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung noch Sinn hat. Um die Arbeitskosten nicht noch stärker zu belasten, bietet sich auch eine zusätzliche Steuerfinanzierung an. Sicher, rein rechnerisch fällt die geplante Anhebung des Pflegebeitrags nicht ins Gewicht, weil im Gegenzug der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinkt. Doch das kann keine Rechtfertigung sein, bei der Finanzierung der Pflegekasse die Hände in den Schoß zu legen. Zumal der wirtschaftliche Aufschwung keine Dauererscheinung ist. Wie schon bei der Gesundheitsreform haben sich Union und SPD auch in Sachen Pflege als unfähig erwiesen, die Finanzierung nachhaltig zu ordnen. Deshalb gilt auch hier der Grundsatz: Nach der Reform ist vor der Reform. nachrichten.red@volksfreund.de

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