Verfrühte Beruhigungspille

Sind die privaten Konten tatsächlich sicher? Die Finanzkrise hätte ohne staatliche Intervention in Deutschland womöglich das komplette Kreditgeschäft lahm gelegt.

Berlin. Die Nervosität und Hektik im Berliner Regierungsviertel sind in diesen Tagen greifbar. Vereinbarte Termine mit Politikern werden kurzfristig abgesagt, Gesprächspartner sind kurz angebunden, jagen von einer Krisensitzung zur anderen. Zwar beteuern alle im politischen Berlin, trotz der ernsten Lage an den internationalen Finanzmärkten, seien die privaten Guthaben sicher.

Zwar gibt es derzeit keine Anzeichen für das Gegenteil. Doch scheint die Lage auch für Privatkunden von Banken ernster gewesen zu sein, als nach außen hin demonstriert worden ist. Beispiel dafür ist die von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Peer Steinbrück am 5. Oktober mit ernster Mine und Vehemenz abgegebene Versicherung, private Sparguthaben seien sicher (O-Ton Merkel: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein"). Für die breite Öffentlichkeit gab es eigentlich keinen Anlass für diese Beruhigungspille, da bis dahin nie die Rede davon war, dass private Einlagen betroffen sein könnten.

Sparer reagierten mit panischen Umbuchungen



Doch offenbar waren viele Sparer durch die täglich neuen Horrormeldungen und die Kursabstürze derart verunsichert, dass sie eben doch um ihr Erspartes bangten und in Panikreaktionen Geld abhoben oder auf andere Konten transferierten. In den ersten drei Oktobertagen wurden an deutschen Geldautomaten so viele 500-Euro-Scheine abgehoben wie im ganzen September.

Gleichzeitig beobachteten Banken massenhaft Kontobewegungen in ungewöhnlicher Höhe. Noch während Merkel und Steinbrück an diesem ersten Oktobersonntag über die Rettung der in Schieflage geratenen Immobilienbank Hypo Real Estate beraten, alarmierte Bundesbankchef Axel Weber die Bundeskanzlerin. Daher sahen sich Merkel und Steinbrück zu ihrer Versicherung gezwungen.

Kurzzeitig schien der Zweck der erstmalig abgegebenen staatlichen Sicherheit für private Sparguthaben aufzugehen. Private Bankkunden fassten wieder Vertrauen, ließen ihr Erspartes in Ruhe.

Kettenreaktion drohte wegen fehlender Kredite



Doch dann entwickelte die Finanzkrise auch in Deutschland eine Dynamik, mit der man nicht gerechnet hat, wie es aus Regierungskreisen heißt. Es habe die Möglichkeit bestanden, dass in der vergangenen Woche Banken in Deutschland in ernsthafte Zahlungsschwierigkeiten gekommen wären, sagt ein ranghoher Regierungsbeamter. Namen werden nicht genannt. Weil sich andere Banken weigerten aufgrund der angespannten Lage am Finanzmarkt, gegenseitig mit Krediten aus der Patsche zu helfen, drohte eine Kettenreaktion.

Doch nicht nur die Kreditvergabe zwischen den Banken ruhte, auch die für Unternehmen und Privatkunden drohte eingestellt zu werden. Innerhalb weniger Tage wäre das komplette Kreditkartengeschäft in Deutschland zusammengebrochen, sagen Experten. Das hätte fatale Auswirkungen auf den privaten Konsum gehabt. Das erklärt die Eile, mit der in Rekordzeit das 500 Milliarden Euro schwere Rettungspaket für die Banken zusammengeschustert wurde.

Dass angesichts der dramatischen Zuspitzung die Versicherung der Bundeskanzlerin bezüglich der privaten Sparguthaben vielleicht etwas voreilig war, geben Verantwortliche hinter vorgehaltener Hand mittlerweile zu. Doch dass sich die Lage innerhalb von wenigen Tagen derart verschlimmern könnte, sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen gewesen, heißt es. Daher glaubt auch niemand, dass man trotz des Milliarden-Paketes überm Berg ist. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass es trotzdem zu einer Bankenpleite kommen könnte und mindestens 20 Milliarden Euro aus der staatlichen Bürgschaft zur Rettung verwendet werden müssen.

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