Leitartikel Das amerikanisch-russische Spiel mit den roten Linien

Wenn Weltmacht auf Großmacht trifft, schaut die Welt gebannt zu. Geht das gut? Sind Fortschritte etwa beim Abbau von Atomwaffen denkbar? Oder bei der Suche nach Frieden in Syrien, wo Russland massiv mitgeholfen hat, Diktator Baschar al-Assad bis heute an der Macht zu halten.

US-Präsident Joe Biden hatte schon vor dem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin verbal abgerüstet. Aus dem „Killer“, als den Biden zu einem früheren Zeitpunkt Putin bezeichnet hatte, war nun ein „würdiger Gegner“ geworden. Das ist ein Aufstieg und hat erst einmal Augenhöhe geschaffen. Auf gleichem Niveau lässt es sich leichter sprechen. 

Doch Biden hat Putin rote Linien aufgezeigt, etwa bei Menschenrechten, auch wegen russischer Desinformationskampagnen und einer aggressiven Außenpolitik, bei der Moskau immer wieder gefährlich nahe an der Ostflanke der Nato im Baltikum die Muskeln spielen lässt. Die westliche Allianz zu provozieren ist eine beliebte russische Übung.

Mit roten Linien aber sollte sich Wladimir Putin auskennen. In seinem Riesenreich gelten seine Regeln und eine besondere Auslegung der Gesetze. Wer den Kreml offen kritisiert und dagegen mobil macht, muss mit Haft oder Arbeitslager oder beidem rechnen. Alexej Nawalny ist das jüngste prominente Opfer dieser Politik, die eines zum Ziel hat: Opposition eindämmen, einschüchtern, ja, vernichten, wenn sie sonst zu mächtig wird.

Der letzte amerikanisch-russische Gipfel war einem grotesk-schaurigen Schauspiel gleichgekommen, als der außenpolitisch stets überaufgeladene Donald Trump den Westen schockte und Putin wegen des Vorwurfs russischer Einmischung in den US-Wahlkampf mehr Glauben schenkte als den eigenen US-Geheimdiensten. Eine solche Groteske war von Biden zum Glück nicht zu erwarten. Er ging mit einer klaren Haltung in dieses Gipfeltreffen, sinnigerweise auf dem Boden der neutralen Schweiz in der UN-Stadt Genf. Multilateralismus? Damit konnte Trump nichts und Putin nur etwas anfangen, wenn es gerade seinen Interessen dient. Putin lässt kaum eine Gelegenheit ungenutzt, wenn er Nato oder EU spalten oder ein Störfeuer legen kann. Im UN-Sicherheitsrat blockieren Moskau (und auch Peking) immer wieder reflexartig Resolutionen, die Übergriffe autokratischer Machthaber gegen das eigene Volk anprangern.

Sollten Biden und Putin mit ihrem Treffen in Genf eine neue Arbeitsebene, eventuell sogar Ansätze für konkrete Zusammenarbeit gefunden haben, hätte sich dieser Gipfel schon gelohnt. Beide Präsidenten hatten schon im Januar verabredet, das New Start-Abkommen zur Begrenzung der strategischen Atomwaffen bis 2026 zu verlängern. Danach aber soll es durch einen neuen Vertrag ersetzt werden. Der Zustand der Beziehung zwischen den USA und Russland ist auch nach diesem bilateralen Gipfel nicht gut. Aber sie haben einen Anknüpfungspunkt, wieder besser zu werden. Das ist eine Chance, selbst wenn man dazu manchmal rote Linien braucht.

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