Herforst kämpft für Familie Murina

Herforst · Die Mädchen sprechen fließend Deutsch, der Vater hätte schon eine Arbeitsstelle und die Dorfgemeinschaft will, dass sie bleiben. Dennoch soll die in Herforst lebende Familie Murina abgeschoben werden. Nach Serbien, wo sie als Roma keine Chance auf ein Leben in der Gesellschaft haben. Ein Blick hinter die Kulissen eines ganz normalen Asylverfahrens.

 Stolz präsentieren Naima (Mitte links) und Natalija Murina Fotos aus dem Kindergarten: ein Geschenk von Herforster Müttern. Mit Vater Sead und Mutter Suada sollen die Mädchen nach Serbien abgeschoben werden. TV-Foto: Katharina Hammermann

Stolz präsentieren Naima (Mitte links) und Natalija Murina Fotos aus dem Kindergarten: ein Geschenk von Herforster Müttern. Mit Vater Sead und Mutter Suada sollen die Mädchen nach Serbien abgeschoben werden. TV-Foto: Katharina Hammermann

Herforst. Die Eltern haben Naima (6) und Natalija (5) rausgeschickt. Die beiden Mädchen sollen nicht hören, was der Grund dafür ist, dass sie ihr Zuhause, ihre Freunde und ihr Spielzeug zurücklassen müssen. Und vor allem sollen sie nicht hören, welche Angst ihr Vater Sead (27) und ihre Mutter Suada (24) vor der Zukunft haben.
Die im Eifelort Herforst lebende Familie Murina soll das Land verlassen. Wenn Ortsbürgermeister Werner Pick die Sache nicht vor die Härtefallkommission des Landes gebracht hätte, säßen die vier schon übermorgen, am Freitag, in einem Bus, der sie zurück nach Serbien bringen würde. Zurück in ein Land, das nicht ihres ist und dessen Bewohner für ihresgleichen - für Roma - nichts als als Verachtung übrig haben.Angst um die Töchter


"Hier gucken die Leute: Bist du gut oder bist du nicht gut. Da gucken sie nur: Bist du ,Zigeuner\'", sagt die 24-jährige Mutter und zeigt auf ihr Gesicht, aus dem dunkelbraune Augen bekümmert schauen. Sie habe Angst. Insbesondere Angst vor dem, was dort in Serbien aus ihren Töchtern werden soll. Denn wie die Lebensverhältnisse für Roma in Serbien sind (siehe Extra), wissen die ursprünglich aus dem Kosovo stammenden Murinas aus eigener Erfahrung: keine Wohnungen, keine Jobs, keine Sozialhilfe, keine Schule, keine Sicherheit, keine Hoffnung, kein Respekt. 2012 waren sie aus einem der vielen Roma-Ghettos nach Deutschland geflüchtet.
Während die Eltern, deren Muttersprache Romanes ist, in gebrochenem Deutsch davon berichten, wie lieb die Menschen in Herforst zu ihnen sind, haben die beiden Mädchen sich wieder ins Wohnzimmer zurückgeschlichen. Die Kleinere betrachtet strahlend Porträtfotos, die sie und ihre Schwester zeigen: Herforster Mütter haben zusammengelegt, damit die Mädchen nach einem Fototermin im Kindergarten nicht leer ausgehen. Die Größere klimpert konzentriert auf einer Plastikgitarre und singt in fast akzentfreiem Deutsch ein Lied, das sie im Kindergarten gelernt hat: "In die Schule geh\' ich gern\', weil ich da so Vieles lern\'". Naima ist für die Grundschule angemeldet. Nach den Sommerferien soll sie - so der Plan - als I-Dötzchen anfangen. Könnte sie das in Serbien auch? Würde sie dort zur Schule gehen? Die Mutter schüttelt traurig den Kopf. Sie selbst hat das Schreiben nie gelernt.
"Hier hätte die junge Familie eine Zukunftschance", sagt Ortsbürgermeister Pick. Sie sei sehr gut integriert. Sead Murina kennt er gut, da dieser seit 2012 auf Ein-Euro-Basis als Gemeindearbeiter für Herforst tätig ist. Der junge Mann sei handwerklich geschickt, fleißig und habe an keinem einzigen Tag gefehlt. Bei einem ortsansässigen Malerbetrieb könnte er laut Pick sofort Arbeit finden. Doch hat Murina die Arbeitserlaubnis nicht bekommen.
"Ich will arbeiten", sagt der kleine, dunkelhaarige Mann immer wieder. Er wolle selbst für seine Familie sorgen, eine kleine Wohnung, ein bisschen Ruhe… Doch stehen die Chancen schlecht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat das Asylbegehren abgelehnt. Denn die schwierige soziale und wirtschftliche Lage der Roma begründe kein Abschiebungsverbot. Einen Widerspruch hat das Trierer Verwaltungsgericht zurückgewiesen. Laut Kreisverwaltung gibt es in der Region viele Familien aus den Balkanstaaten, die ausreisepflichtig sind. Den Murinas ein Aufenthaltsrecht zu erteilen, würde demnach zu einer Ungleichbehandlung führen.
"Warum gibt man ihnen nicht diese Chance?", fragt Pick. Die Familie besitze die Sympathie eines ganzen Dorfes. "Wir sind doch ein Einwanderungsland und sollten froh sein, wenn junge Menschen hier ihren Lebensmittelpunkt aufbauen und hier arbeiten wollen - ohne die Sozialsysteme zu belasten." Picks "letzter Strohhalm" ist der Bürgerbeauftragte des Landes, Dieter Burgard. Dieser will nun in einem Härtefallverfahren prüfen lassen, ob es trotz all der ähnlichen Fälle nicht doch eine Chance für die Murinas gibt. Insbesondere gehe es darum, nachzuweisen, dass die Familie gut integriert sei, schreibt Burgard dem Ortschef, der die nötigen Unterlagen nun zusammenstellt. Der Freitag ist als Abschiebetag so vom Tisch.
Die nächste Sitzung der Härtefallkommission ist noch nicht anberaumt. Womöglich fällt die Entscheidung erst nach den Sommerferien - wenn Naima bereits eingeschult ist. Ihre Namen können die Mädchen jetzt schon schreiben. Stolz präsentieren die beiden das aus krakeligen Großbuchstaben bestehende Resultat. Mehr als das hat ihre Mutter Suada nie gelernt.
Sie betet, dass es für ihre Töchter anders läuft.Meinung

Menschlich eine Sauerei
Eine Romafamilie mit zwei kleinen Mädchen wird nach Serbien abgeschoben. Das ist asylpolitischer Alltag in Deutschland. Und aus humanitärer Sicht eine Sauerei. Denn jeder, der sich über die Lage der Roma auf dem Balkan informiert, weiß, welches Elend die Familien dort erwartet. In Serbien haben Menschen wie die Murinas keine Chance auf ein würdiges Leben. Dem Flüchtlingsrat der UN zufolge können Roma aus dem Kosovo, die aus einem Drittland zurückkehren, sich nicht als Binnenvertriebene registrieren lassen und haben somit keine Chance, grundlegende Rechte wie Gesundheitsfürsorge, Arbeitslosenhilfe oder Schulbildung in Anspruch zu nehmen. Auf eine Wohnung brauchen die Murinas gar nicht erst zu hoffen und die offiziellen Sammellager sind überfüllt. So landen die meisten Roma in Ghettos ohne Strom und Wasser, die der Staat regelmäßig räumen lässt. Traurig, zu wissen, was dort aus Kindern wird, denen hier die Welt offen stünde. k.hammermann@volksfreund.deExtra

Um den Zuzug von Roma zu bremsen und die Abschiebung zu erleichtern, will die Bundesregierung die drei Balkanstaaten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als "sichere Herkunftsländer" einstufen. Ein Vorhaben, das derzeit nicht mit der Zustimmung des Bundesrats rechnen kann. Wie es tatsächlich um die Sicherheit von Roma in Serbien steht, hat das Verwaltungsgericht Stuttgart Medienberichten zufolge vor wenigen Wochen in einem Urteil deutlich gemacht, mit dem zwei Roma als Flüchtlinge anerkannt wurden. In dem Urteil heißt es, dass: "Roma in Serbien extrem benachteiligt werden, dass sie gezwungen sind, am Rande der Gesellschaft zu leben … Das gilt insbesondere für ihren Zugang zum Arbeitsmarkt, den Zugang zur Gesundheitsversorgung, den Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und die Möglichkeit, Sozialleistungen zu erlangen." Roma seien außerdem in Serbien "verstärkt Opfer von Übergriffen Dritter". Die staatlichen Organe gewährten in der Regel keinen Schutz gegen diese Gewalt. kah

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