Nur weg hier, lautet die Devise

BITBURG. Aufregung in der Innenstadt: 2000 Menschen müssen evakuiert werden. Vorher kann die Fliegerbombe am neuen Aldi nicht entschärft werden.

"Wie lange?" Die Frau hinterm Steuer hats eilig. Drei Kinder drücken sich auf der engen Rückbank aneinander, die älteste sitzt auf dem Beifahrersitz und hat schon vor dem Bremsen die Scheibe herunter gedreht. Damit Jörg Fischer schnell durchsagen kann, was ansteht. "Wahrscheinlich eine Stunde, aber das kann man nie genau sagen. Nur, wenn alles glatt läuft." Schulterzucken im Auto, der Motor heult auf. Nur weg hier, scheint die Devise. Nicht für Feuerwehrmann Fischer und seine etwa 50 Kollegen aus Bitburg und den Stadtteilen. Geklingelt, geklopft und zu Balkonen hoch gerufen

Sie müssen dafür sorgen, dass auch der Letzte im 500-Meter-Umkreis um die Bombe weiß: Um 20 Uhr ist Schluss. Bis dahin ist noch etwa eine halbe Stunde Zeit, die meisten Straßenzüge haben die Feuerwehrmänner schon durchkämmt. Geklingelt, geklopft und auf Balkone hinauf gerufen: "Sie müssen bis 20 Uhr raus hier." Seit 19 Uhr arbeiten sich die Männer von Süden nach Norden vor, Fischer folgt ihnen mit dem roten Kastenwagen, auf dem in großen schwarzen Lettern "Einsatzleitung" steht. Im Wagen, der im Moment in der Schakengasse steht, koordiniert er den Einsatz mit dem Funkgerät, ruft das Rote Kreuz an, wenn alte, bettlägrige Menschen abgeholt werden müssen. Oder jemand verrückt spielt. "Das hatten wir auch schon, aber wir können die Leute ja nicht zwingen, ihre Häuser zu verlassen", sagt Fischer. Kollege Torsten Maas nickt. Er hat schon fünf Bombenevakuierungen mitgemacht. Im Moment verlaufe alles ruhig, versichert er. Ruhig. So ist es auch in der Bitburger Fußgängerzone um kurz vor acht. Noch vor einer Stunde hatten die Gäste im Cafe Voigt ihr Eis gelöffelt, der Mann am Grill hatte gerade neue Schaschlik-Spieße aufgelegt. "Davon weiß ich noch gar nichts", hatte Geschäftsführer Björn Kaiser gesagt und geschmunzelt: "Wir sind sicher noch ein Weilchen hier. Nun machen er, sein Kompagnon Cornell Voigt und ihre Mitarbeiter den Laden dicht. Im oberen Bereich der Fußgängerzone informieren zwei Polizisten einige Nachtschwärmer von dem Bombenfund. "Au weia, dann können wir ja gar nicht ", überlegt einer laut. "Welche Kneipe hat denn noch auf?" Der gute Tipp einer Passantin: "Ins Eifelbräu. Das erste Lokal hinter der Sperrzone im Norden". Der Tipp hat sich offenbar rumgesprochen. Im Eifelbräu brummt das Geschäft. Vielleicht sogar ein wenig länger als bis zur Aufhebung der Bomben-Sperrstunde. Gegen 19 Uhr ist am Evakuierungszentrum an der Edith-Stein-Hauptschule noch alles ruhig. Ute Kill und Maria Männling sind die ersten und sie schauen etwas ratlos. "Sind wir hier richtig?" Ute Kill hatte gerade ihre Bekannte in der Mozartstraße in Bitburg besucht, als die Feuerwehr klingelte und Bescheid gab, dass evakuiert würde. "Wir haben uns dann auch direkt auf den Weg gemacht", sagt Ute Kill, "denn wir dachten ja schließlich auch, dass es schnell gehen müsste. Doch noch ist alles ruhig. In der Edith-Stein-Halle spielen noch ein paar Jungs Basketball, aber ihr Trainer ist im Bilde, dass sie die Halle möglicherweise bald räumen müssen. Und schon wenig später, kurz nachdem ein Polizeiwagen vorbei geschaut hat, rollt dann tatsächlich das erste Aufgebot des DRK-Ortsvereins Bitburg auf den Hof. Schnell wird der Wagen eingeparkt, dann erstmal die Lage sondiert. Wie viele Leute es heute abend werden, weiß auch Sondereinsatz-Gruppenleiter Roland Metzinger nicht abzuschätzen. Aber er und seine Leute sind gerüstet, haben Feldbetten und alles andere parat, was man für den Evakuierungsfall braucht. Herbert Höffler, Hausmeister der Edith-Stein-Hauptschule, ist auch vor Ort. "Ich war gerade einkaufen, als mein Sohn mich anrief und mich informierte." Da habe er sich sofort auf den Weg gemacht. Für ihn ist es die erste Evakuierung in der Schule. "Es war zwar schon öfter die Rede davon, dass in die Edith-Stein-Hauptschule evakuiert würde, aber das hier ist wirklich das allererste Mal", erzählt er. "Aber ich bin guter Dinge, dass wir das im Griff haben werden." Und schon treffen auch die ersten Evakuierten ein. Die Stimmung ist ruhig, ja beinahe gelassen. Erstmal werden am Eingang der Turnhalle die Personalien aufgenommen. "Das ist wichtig, damit wir später schnell feststellen können, ob vielleicht noch jemand fehlt oder vermisst wird", erklärt eine Helferin des DRK die Prozedur. Der Schrecken muss erst mal verdaut werden

Die Evakuierten lassen sich derweil auf den Stühlen, die ganz wie in Konzertbestuhlung aufgestellt werden, nieder, um teilweise den ersten Schrecken erstmal zu verdauen. "Ich habe gedacht: Jetzt ist mir schlecht vor Aufregung", schildert Yvonne Platzer aus der Trierer Straße ihre ersten Gedanken, nachdem sie von der Bombe erfuhr. Sie saß gerade gemütlich vorm Fernseher, hatte gerade gegessen, als von draußen plötzlich die Aufrufe aus dem Polizeiauto herein schallten. Jetzt macht sie sich Sorgen um ihr Haustier einen Vogel, der nicht mit durfte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort