Geschichte Flugzeugabsturz vor 60 Jahren: Das Wunder von Matzen

Bitburg-Matzen · Heute vor 60 Jahren ist ein Düsenjäger nördlich des Bitburger Stadtteils Matzen abgestürzt. Wenn der amerikanische Jet damals nicht von Bäumen abgelenkt worden wäre, hätte es womöglich Tote gegeben. Zeitzeugen blicken zurück.

 Vorher: So sah die F 100 Super Sabre vor dem Absturz in Matzen aus.

Vorher: So sah die F 100 Super Sabre vor dem Absturz in Matzen aus.

Foto: TV/US-Air-Force

Wir schreiben den 16. April 1958. Zwei amerikanische Düsenjets starten vom Flugplatz Bitburg. Doch nur einer wird zur Air Base zurückkehren. Der andere Jet stürzt über dem Dorf Matzen, dem heutigen Bitburger Stadtteil, ab. Wie durch ein Wunder gibt es keine Toten. Selbst der Pilot kommt ohne schwere Verletzungen davon. Die wenigen Zeitzeugen, die heute noch leben, sprechen von einem Glücksfall. Die Geschichte des Tages, an dem Matzen nur um ein Haar einer Katastrophe entging,  aus drei Blickwinkeln:

Der Pilot: Robert Yofhizumi setzt sich ins Cockpit der F 100 Super Sabre. Ein Übungsflug von zwei Stunden steht auf dem Programm. Es ist Routine für den 26-jährigen Piloten, der trotz seines Alters als erfahren gelten kann. 464 Flugstunden hat er bis zu diesem Tag absolviert.

 Die Rutschbahn des Flugzeuges hat Ortsvorsteher Hermann-Josef Fuchs mit dem Historiker Horst Weber rekonstruiert.

Die Rutschbahn des Flugzeuges hat Ortsvorsteher Hermann-Josef Fuchs mit dem Historiker Horst Weber rekonstruiert.

Foto: Hermann-Josef Fuchs

Und doch bekommt er von den technischen Problemen seines Jets zunächst nichts mit. Das geht aus dem Bericht hervorgeht, den er später schreibt. Erst wenige Minuten nach dem Start, sein Flugzeug befindet sich in etwa 400 Metern Höhe, bemerkt Yofhizumi, dass etwas nicht stimmt.

 Viel war nicht mehr übrig von Yofhizumis Jet.

Viel war nicht mehr übrig von Yofhizumis Jet.

Foto: TV/US-Air-Force

Dann geht ein Funkspruch ein. Er kommt von seinem Kollegen im anderen Abfangjäger: „Yofhizumi, da kommt weißer Rauch aus deinem Jet.“ Durch die Sprechanlage ruft er ihm zu, er soll sich von den zusätzlichen Treibstofftanks seines Flugzeuges trennen.

Also wirft der US-Soldat die Tanks ab. Sein Jet wird dadurch zwar leichter. Doch es hilft nichts. Die grünen Wiesen und die Höfe unter ihm kommen näher. Auch die Geschwindigkeit der Maschine nimmt weiter ab. Also versucht Yofhizumi eine Notlandung – ohne Erfolg. Als der Pilot erkennt, dass ein Absturz nicht abzuwenden ist, versucht er, sich selbst zu retten. Er betätigt den Schleudersitz und wird mit einem Fallschirm aus der Super Sabre katapultiert.

Das Mädchen: Zu dieser Zeit ist Eleonore Müllen gerade beim Bügeln. Eigentlich hätte die 17-Jährige heute in der Schule sein müssen. Doch das Wittlicher Gymnasium, das sie besucht, ist wegen Mumps geschlossen. Statt im Unterricht zu sitzen, steht sie also am Fenster und lässt das Eisen über die Kleider fahren – als sie plötzlich ein ohrenbetäubendes Kreischen aufschreckt. Es ist der Krach den Yofhizumis Flugzeug macht, als es über den Boden schlittert. Dabei wirbelt der Abfangjäger jede Menge Staub auf. Vom Hof der Müllens sieht es aus, als ob Sand vom Himmel regnen würde.

Nach dem Krach rennt Eleonore Müllen mit ihrer Schwester raus in den Garten. Erst dann sehen die beiden den Mann, der in den Apfelbäumen hängt. Der Fallschirm des Piloten hat sich im Geäst verfangen. Seine Füßen baumeln in vielleicht einem Meter Höhe über dem Boden.

Die jungen Frauen laufen zu ihm hin, wollen ihm helfen. Doch bevor sie ankommen, haben Männer aus dem Dorf Yofhizumi befreit. Sie geben ihm Wasser und stützen ihn links und rechts. Doch er kann laufen, scheint nicht schwer verletzt zu sein. Ein Helikopter landet in der Wiese und bringt ihn fort. Drei Tage später soll der US-Soldat schon wieder geflogen sein, berichtet die Zeitung seinerzeit. Doch auch, wenn der Pilot gerettet ist, ist die Gefahr für die Matzener lange nicht gebannt. Denn das Wrack rutscht weiter auf den Ortskern zu.

Der Lehrer: Sehen kann Peter Müllen das von der Schule aus nicht. Und das, obwohl das Gebäude nur 200 Meter von der Absturzstelle entfernt liegt. Bäume und Hügel liegen zwischen dem Unfallort und dem heutigen Gemeindehaus.

Der junge Lehrer Müllen hat Unterricht, als es passiert. Etwa 50 Jungen und Mädchen aller Jahrgangsstufen von der ersten bis zur achten Klasse blicken zur Tafel. Eine Schülerin ist draußen. Sie steht im Garten und kümmert sich um die Pflanzen. Sie ist es, die das Flugzeug zuerst sieht.

Der 24-Jährige blickt gerade aus dem Fenster, als das Mädchen im Schock die Arme über den Kopf reißt. Sie hat den Feuerschweif am Horizont gesehen, das Flugzeug, das gleich nahe des ehemaligen Hauses Weimann zu Boden krachen wird.

Wenige Sekunden später hören die Schüler den Knall, und Müllen ahnt, dass es einen Unfall gegeben haben muss. Er verbietet den Schülern, das Gebäude zu verlassen. Erst später, als es still wird im Dorf, dürfen sie gehen. Mit der Mahnung, nichts anzufassen oder aufzuheben. Denn noch liegt die Wiese voll mit Munition.

Das Wunder: „Es ist schon mehr als Glück, dass damals niemandem etwas passiert ist“, sagt Eleonore Müllen heute. Die Geschichte lebt noch in ihren Erinnerungen und in denen ihres 93-jährigen Mannes Peter. Wenn die beiden erzählen, kommt es dem Zuhörer vor, als wäre der Absturz vergangenen Frühling passiert und nicht vor 60 Jahren.

Und das obwohl alles so glimpflich verlaufen ist. Dabei sah es zunächst nicht danach aus. Das zeigt die Rutschbahn des Flugzeuges, die Ortsvorsteher Hermann-Josef Fuchs und Historiker Horst Weber rekonstruiert haben:

Das abgestürzte Wrack brettert 1958 über Wiesen und Sträucher Richtung Dorf. Doch auf seiner Bahn der Zerstörung prallt es gegen einen Birnbaum. Eleonore Müllen wisse noch genau, was das für „ein Kandidat“ war. „So dick waren die Stämme“, sagt sie und breitet ihre Arme aus, als wolle sie einen unsichtbaren, sehr korpulenten Menschen umarmen.

Diesen Riesen streift das Flugzeug wohl und wird dadurch in eine andere Richtung gelenkt. Andernfalls – da sind sich die Matzener sicher – wäre der Düsenjäger Richtung Dorfstraße gerutscht, hätte dort ein Feuer entfacht, womöglich Leben gefordert.

Stattdessen versengt der Jet ein Bienenhaus und kracht dann durch eine Bruchsteinmauer in den Stall eines Bauernhofes. Dort bleibt das Wrack liegen und es kehrt wieder Stille ein. Bis auf das Gebrüll der Kühe ist nichts mehr zu hören. Aber auch die Tiere kommen mit dem Schock davon. Dann schallen die Sirenen durchs Dorf.

Wenig später sperren amerikanische Sicherheitskräfte die Absturzstelle ab. Die Matzener dürfen den Unfallort nicht betreten, während Feuerwehrleute vom Flugplatz den Brand löschen.

Die Folgen: Viel gebrannt habe da nicht, meint Eleonore Müllen: „Da war nur ein bisschen versengtes Gras.“ Überhaupt blieb der Schaden im Dorf gering. Er wird auf etwa 5000 Euro beziffert. Die Amerikaner traf es härter: Der zerstörte Jet war seinerzeit 661 931 US-Dollar wert gewesen. Heute wären es sicherlich Millionen.

Trotzdem, Glück im Unglück: Wenn Yofhizumi die Tanks mit dem Sprit nicht vor dem Absturz abgeworfen hätte, hätte es womöglich eine Explosion gegeben. Das weiß Müllen aus eigener Erfahrung.

Denn der Absturz 1958 ist nicht der einzige, den sie miterlebt hat. Drei Jahre zuvor hatte sie beobachtet, wie ein amerikanische Jet in die Erdorfer Straße in Bitburg geknallt war. Die Flammen, sagt sie, schlugen meterhoch in die Luft: „Wir hatten solche Angst und sind sofort Richtung Zuckerborn gelaufen.“

Diese beiden Vorfälle hätten sie so geprägt, dass sie ihr ganzes Leben lang Angst vorm Fliegen hatte, wie sie sagt: „Ich bin nur ins Flugzeug gestiegen, wenn ich es gar nicht vermeiden konnte.“

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