Tourismus Zwischenstopp bei den Camino-Engeln

Speicher · Speicher liegt zwar nicht am Jakobsweg, aber immer wieder verschlägt es Pilger in die Stadt. Denn ein Ehepaar hat im eigenen Haus eine Herberge eröffnet.

 Die Tür ist für Pilger aus aller Welt geöffnet: Elli und Karl Franzen empfangen Jakobsweg-Wanderer in ihrem Eigenheim.

Die Tür ist für Pilger aus aller Welt geöffnet: Elli und Karl Franzen empfangen Jakobsweg-Wanderer in ihrem Eigenheim.

Foto: TV/Nathalie Hartl

Eigentlich hätten Karl und Elli Franzen einen freien Nachmittag gehabt, aber dann kam wieder alles anders. Zwei Wanderer aus Norddeutschand standen vor dem Rathaus in Speicher und haben nach einer Unterkunft gesucht – und bei dem Ehepaar aus der Eifel gefunden. Seit die Franzens ihre Pilgerherberge Casa de Peregrinos betreiben, gehören Überraschungen wie diese für sie zum Alltag.

Während die schweren Rücksäcke von Ursula Albrecht und Hinrich Langeloh im Gang stehen bleiben, haben es sich die beiden Pilger schon am Wohnzimmertisch der Familie bequem gemacht. Dass die kleine Herberge im Vergleich zu manch anderer Pilgerunterkunft purer Luxus ist, stellen die Hamburger schnell fest. „Ich habe einmal in einem Schlafsaal mit 150 Betten übernachtet“, erzählt Albrecht, die bereits auf dem Jakobsweg durch Spanien gezogen ist. In der Casa de Peregrinos in Speicher treffen Leute auf Wanderschaft dagegen auf kleine Zimmer, die früher von der Familie selbst genutzt wurden.

Nach dem Auszug der Töchter lebte das Ehepaar allein in dem Haus, das eigentlich für eine sechsköpfige Familie ausgelegt war. Zwei Etagen seien unbewohnt gewesen. „Es wurde auf einmal still in unserem trauten Heim, das vor Lebensfreude nur so gestrotzt hatte“, sagt Karl Franzen. Er und seine Frau überlegten, was sie mit all dem Platz anfangen könnten.

Die Lösung kam mit der Nachricht einer früheren Mitpilgerin, die sich nach einer Unterkunft auf ihrem Weg durch die Eifel erkundigte. In dem Moment wussten die beiden, dass sie dem Jakobusweg, auf dem sie selbst gewandelt sind, etwas zurückgeben wollten. „Wir entschieden uns, unserem Haus wieder eine sinnvolle Bestimmung und eine neue Seele zu geben, indem wir unsere Türen für Pilger, Wanderer und weltoffene Menschen öffnen.“ Seit dem Winter 2017 begrüßen die beiden Menschen, die auf einem der vier Jakobuswegen nahe Speicher unterwegs sind. Während Pilger gratis beziehungsweise gegen eine Spende übernachten können, zahlen reguläre Wandergäste wie in jeder anderen Pension auch. „Das ist die einzige kostenlose Pilgerherberge, auf die ich bislang in Deutschland gestoßen bin“, sagt Langeloh.

Doch wie kommen Pilger, die mit den Füßen beten und den Weg ohne Fahrzeug bestreiten, überhaupt zu den Franzens? Schließlich tangiert keine der Strecken Speicher. 15 bis 20 Minuten mit dem Auto sind es bis zur Via Coloniensis, dem Mosel-Camino, dem Eifel-Camino oder dem Ausoniusweg.  Die beiden Herbergsleute bieten ihren Gästen einen besonderen Service an: Mit ihrem Wagen holen sie die Pilger am Ende ihrer Etappe ab und liefern sie am Folgetag wieder am Startpunkt für das nächste Teilstück ab. So können ihre Gäste den Weg zwischen der Route und Speicher angenehm überbrücken.

In der Herberge angekommen, können die Pilger ihre Wäsche waschen lassen, ein Fußbad nehmen und ihre Blasen behandeln. Abends wartet dann ein Abendessen auf sie, das Elli und Karl Franzen frisch zubereiten. Mal gibt es italienische Pasta, mal Eifeler Spezialitäten und mal Quiche Lorraine inklusive französischen Chansons. Eine kleine Stärkung, bevor der lange Marsch weitergeht, denn vor den Pilgern, die in der Töpferstadt Halt machen, liegt noch ein weiter Weg: Gut 2400 Kilometer trennen sie von Santiago de Compostela, wo sich das Grab des Apostels Jakobus befinden soll.

Während vor allem Berufstätige und ältere Menschen die Reise zu dem Wallfahrtsort im Westen Spaniens in mehreren Etappen gehen und immer nur ein paar Wochen am Stück unterwegs sind, laufen viele junge Leute den Weg, ohne längere Pausen.

Viele Menschen, die gerade ihren Schulabschluss gemacht haben, machen bei den Franzens Station. „Nach dem Abitur fragen sie sich, wie es mit ihrem Leben weitergeht und was sie machen wollen“, sagt Elli Franzen. Um in Ruhe darüber nachzudenken, haben sich auch vier junge Männer auf Pilgerschaft begeben. Über die Via Coloniensis, die von Köln durch die Eifel nach Trier führt, gelangten sie in die Nähe von Speicher – und zwar mit 80 Kilo Gepäck. Als Karl Franzen sie inklusive Zelten, Schlafsäcken und einer Gitarre in sein Auto einlud, war sein Fahrzeug bis zum Dach beladen. Das Quartett schlief in Speicher und zog anschließend nach Frankreich weiter.

Nach der Begegnung machten sich die Herbergseltern selbst auf die Reise, und in Santiago de Compostela trafen sie zwei der jungen Gäste wieder. Immer wieder treffen die beiden inzwischen auf vertraute Gesichter. Manche nennen sie nicht Franz und Elli, sondern Camino-Engel.

Was das Ehepaar weitergibt, hat es in ähnlicher Form selbst erlebt. „Für uns ist der Jakobusweg eine Lebenseinstellung“, sagt Karl Franzen, der sich vor gut zehn Jahren nach einem gesundheitlichen Rückschlag zum ersten Mal auf eine Pilgerreise begeben hat.

Mit dem Fahrrad schaffte er es bis zum Apostelgrab und darüber hinaus. Er schöpfte nach seiner Krankheit neue Kraft und Freude, die er heute an andere Pilger weitergeben möchte. Da er aufgrund seiner Gesundheitsprobleme nur halbtags in seinem Beruf arbeiten kann, hat er Zeit, sich um seine neue Aufgabe zu kümmern. Seine Frau und er machen anderen Mut, tauschen Geschichten aus und bereiten ihre Gäste darauf vor, was in der Ferne auf sie zukommt. 57 Pilger haben sie schon in ihren vier Wänden aufgenommen und bewirtet.

Obwohl Karl und Elli Franzen gerne Herbergseltern sind, freuen sie sich schon auf den Rollentausch. Dann werden sie sich wieder gemeinsam auf den Jakobsweg begeben und gemeinsam bis „ans Ende der Welt“, an das Kap Finisterre, reisen.

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