"Ich schneide mir die Kehle durch"

HERMESKEIL. Er habe starke Schmerzen, erklärt der nächtliche Besucher dem Pförtner des St. Josef-Krankenhauses. Doch kaum hat der angeblich Kranke das Haus betreten, wird aus dem Routinefall eine gefährliche Situation: Der Mann droht mit Selbstmord und verlangt, ein Redakteur des Trierischen Volksfreunds solle kommen und ihn anhören.

 Am 10. September 2002 explodierte die Gaststätte des nächtlichen Besuchers im Krankenhaus. Seine Ex-Frau war dafür verantwortlich. Er stand buchstäblich vor den Trümmern seiner Existenz.Foto: TV -Archiv/Jörg Pistorius

Am 10. September 2002 explodierte die Gaststätte des nächtlichen Besuchers im Krankenhaus. Seine Ex-Frau war dafür verantwortlich. Er stand buchstäblich vor den Trümmern seiner Existenz.Foto: TV -Archiv/Jörg Pistorius

Bis um 1.30 Uhr ist die Nacht zum Mittwoch für Krankenschwester Melanie Röder eine normale Nachtschicht. Doch dann läuft die 21-Jährige in der Chirurgie dem unter Alkoholeinfluss stehenden Mann über den Weg. Er packt eine Glasscherbe aus, hält sie an seinen eigenen Hals und droht damit, sich die Kehle aufzuschneiden. Immer wieder kommt seine Forderung: Der Hochwald-Redakteur solle kommen. Melanie Röder bleibt ruhig. Sie erkennt bereits in den ersten Minuten, dass dieser Mann kein Gewaltverbrecher ist. "Ich will ja niemandem etwas tun", sagt er. Nur reden wolle er, die Öffentlichkeit erreichen. "Nicht gefährlich, nur sehr verwirrt"

Die Krankenschwester informiert Friedrich Wiedmann in der Pförtnerloge. Wiedmann reagiert sofort. Er wählt die Nummer des TV -Verlagshauses in Trier. Dort hat Karl-Heinz Mauell Nachtdienst. Er klingelt um 1.40 Uhr den Hochwald-Redakteur aus dem Bett, mit dem der nächtliche Eindringling unbedingt reden will. Während dieser Redakteur nach Hermeskeil eilt, verlässt der Mann zur großen Erleichterung von Melanie Röder - sie wird später sagen "Ich glaube, der war gar nicht gefährlich, sondern nur sehr verwirrt" - die Chirurgie und geht wieder nach unten zum Haupteingang. Auch Friedrich Wiedmann wird mit der Forderung konfrontiert: "Ich will mit dem Redakteur reden, sonst schneide ich mir die Schlagader auf. Wenn ihr die Polizei ruft, gehe ich hier als Leiche raus." Wiedmann bleibt ruhig. Unbemerkt von dem Mann benachrichtigt er die Polizeiinspektion Hermeskeil. Was anschließend passiert, demonstriert anschaulich, dass der Besucher mit der Glasscherbe nicht in die Kategorie der Gewaltverbrecher eingeordnet werden kann. Wiedmann berichtet: "Er wollte rauchen. Ich habe ihm gesagt, dies ist ein Krankenhaus, natürlich herrscht hier Rauchverbot." Also geht er folgsam zum Rauchen nach draußen vor die Haupteingangstür, wo ihn die Polizisten problemlos entwaffnen und festnehmen können. Niemand wird verletzt. Um 2 Uhr ist der Spuk vorbei. Der Mann hat keine Chance mehr, sein Anliegen dem Redakteur, der durch die Kollision mit einer Hirschkuh auf seinem Weg nach Hermeskeil gebremst wurde und fünf Minuten nach der Festnahme vor Ort eintrifft, zu schildern. Doch im Gespräch mit Friedrich Wiedmann lässt sich der Wunsch des nächtlichen Besuchers rekonstruieren. "Er hat ständig gesagt, er stehe nach der Katastrophe vor einem Jahr ganz alleine da, niemanden kümmere sein Leid, er wolle wieder in die Öffentlichkeit, um seine Situation zu schildern und um Hilfe zu bitten." Vor einem Jahr brannte seine Gaststätte

Diese Hinweise deuten auf den 31-jährigen ehemaligen Hermeskeiler Gastwirt, dessen Gaststätte vor genau einem Jahr durch eine Explosion völlig zerstört wurde. Die Ursache war Brandstiftung, verantwortlich war die 32-jährige rumänische Ex-Frau des Wirts, die durch die Explosion schwer verletzt wurde (der TV berichtete). Die Folgen dieses Anschlags waren für sie ein längerer Aufenthalt im Justizvollzugskrankenhaus Wittlich, eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren und die Abschiebung nach Rumänien. Der Wirt stand vor den Trümmern seiner Existenz. Niemand ersetzte ihm den Schaden und den Verdienstausfall. Im Dezember 2002 versuchte er einen Neustart, musste aber wenige Wochen später endgültig aufgeben. Auch die Polizei kennt ihn. "Er hat mit dieser Aktion im Krankenhaus niemanden direkt bedroht oder gefährdet, nur sich selbst", sagt Siegfried Agostini, der Leiter der Polizeiinspektion Hermeskeil. "Sein Verhalten zeigt deutlich, dass es sich nicht um einen Gewaltverbrecher handelt. Er hatte in der Vergangenheit schon einmal Selbstmord angedroht." Das St. Josef-Krankenhaus will laut Mitteilung des kaufmännischen Direktors Wolfgang Wagner keine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs stellen. Der 31-jährige Hermeskeiler ist nach Auskunft der Polizei zunächst in die psychiatrische Abteilung des Trierer Mutterhauses eingeliefert worden.

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