Vergesslich, aber nicht vergessen

KONZ. In Rheinland-Pfalz leiden rund 60 000 Menschen an mittlerer oder schwerer Demenz. Mit ihnen einen einfühlsamen und respektvollen Umgang zu halten, ist für Angehörige und Pfleger mitunter ein Balanceakt.

Stephan Gutensohn, Leiter eines bundesweit anerkannten und mit Preisen ausgezeichneten Heim-Projekts, berichtete über sein Konzept am Montagabend im Kloster Konz-Karthaus. Die Veranstaltung fand auf Einladung von Alfons Maximini, Vorsitzender der SPD-Kreistagsfraktion, statt. Von einem "Tabuthema" sprach Maximini, der aus eigener Betroffenheit das Dilemma kennt. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel habe die Krankheit seine Mutter getroffen. Damit ist sie eine von schätzungsweise einer Million Demenzkranken in Deutschland. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird die Zahl in den nächsten Jahren dramatisch zunehmen. Dorfzentrale als Anlaufstelle

Für Maximini ein Grund, dass sich Gebietskörperschaften und Kommunen des Themas annehmen und auf die Situation vorbereiten müssen. "Mein Anliegen ist es, dass sich öffentliche Einrichtungen und die vielen ehrenamtlichen Initiativen stärker miteinander vernetzen", sagte Maximini, der sich für jede größere Gemeinde im Kreis eine koordinierende "Dorfzentrale" als qualifizierte Anlaufstelle wünscht. Das (überparteiliche) Interesse an dem Thema wurde durch rund 100 Besucher aus Heimen, Selbsthilfegruppen oder Sozialstationen deutlich. Für Spannung sorgte der Bericht von Stefan Gutensohn, der aus seinen Erfahrungen als Leiter eines bundesweit anerkannten Heim-Projekts in Meisenheim berichtete. Das Konzept im "Haus am Bendstich" sei anfangs belächelt worden. "Mittlerweile haben wir Vorreiterfunktion für 2500 Häuser, die nach dem gleichen Konzept arbeiten." Die Kranken würden das Heim als Zuhause betrachten, in dem "die Menschen 24 Stunden miteinander leben". Für Wohnlichkeit und Menschlichkeit sorgen alte Möbel, persönliche Gegenstände und ein großer Garten, der dem Laufbedürfnis von Demenzkranken entgegenkomme. "Dadurch haben wir keine Probleme, dass Kranke weglaufen wollen, sie können sich ja bewegen", erklärte Gutensohn. Pfleger und Betroffene frühstücken miteinander, es gibt keine Begriffe wie Nasszelle oder Toilettengang. Schlaftabletten seien nicht nötig, nur sieben Prozent der Heimbewohner bekämen Psychopharmaka. Akzeptanz und Einfühlungsvermögen sowie der Austausch im Team seien gleichfalls Bestandteil des Konzepts. Die allseits beklagte Personalnot sei in Meisenheim kein Thema. "Seit zehn Jahren hat kein einziger Mitarbeiter gewechselt, das spart Zeit fürs Einarbeiten", berichtete Gutensohn. Durch Schulungen würden Burn-out-Syndrome vermieden, die Krankheitstage damit um 70 Prozent gesenkt. Die Mitarbeit von Angehörigen sei ausdrücklich erwünscht "Und die Heimleitung muss auch loben", forderte Gutensohn. Uschi Wihr und Stefan Kugel vom Demenzzentrum Trier berichteten von dem "supergut angelaufenden Start" des Demenzzentrums. Sie erstellen derzeit eine Datenbank sämtlicher stationärer und ambulanter Beratungsstellen, um sie miteinander zu vernetzen und Angehörigen eine Art "Lotsenfunktion" zu bieten. Sozialministerin Malu Dreyer verwies auf die flächendeckende Schulungsinitiative in Rheinland-Pfalz, "ein Programm, das weiterlaufen wird", sowie auf die Info-Koffer, die bei den Beratungs- und Koordinierungsstellen erhältlich seien. Die 2004 gestartete Infokampagne Demenz werde 2006 fortgeführt, "sofern ich dann noch etwas zu sagen habe". Für überraschte Gesichter sorgte ihre Aussage, dass es in Rheinland-Pfalz ein Überangebot an stationären Einrichtungen gebe, die teilweise nichts mit modernen Erkenntnissen zu tun hätten. "Die erfüllen zwar das Heimgesetz, was aber noch lange nicht heißt, dass es gute Einrichtungen sind." Planerisch sei in solchem Fall die Kommune gefordert.

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