Von der Presse an die Kelter

SERRIG/FRANKFURT. Stabwechsel im renommierten Weingut Bert Simon in Serrig: Ab diesem Sommer wird der ehemalige Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Dr. Jochen Siemens, das Anwesen samt Weinbergen übernehmen. Bert Simon wird in den Ruhestand wechseln, in den nächsten zwei bis drei Jahren jedoch im Hintergrund weiterhin mitwirken.

Ein verregneter, kühler Mittwoch diese Woche in Serrig. Keinen Hund möchte man an diesem Tag vor die Tür schicken. Draußen zu arbeiten, ist erst recht kein Gedanke, der einem bei diesen Bedingungen freiwillig in den Kopf schießt. Es sei denn... man ist Winzer. Da dürfen Wind und Wetter, persönliche Befindlichkeiten und Stimmungen keine Rolle spielen. Das weiß Bert Simon aus eigener, 40-jähriger Erfahrung nur zu gut: "Man muss den täglichen Wetterwechsel ertragen", formuliert der 65-Jährige nüchtern. Den Wetterwechsel sowie die vielen übrigen Bewegungen und Entwicklungen innerhalb der Branche im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte hat der gebürtige Kölner mit Leib und Seele mitgemacht. 1968 hat Simon das auf den Höhen Serrigs gelegene Weingut vom Freiherrn von Schorlemer gekauft - und damit "eine familiäre Alternative ausgeschlagen". Sein Vater hatte ein Weingut in Mertesdorf und den Simonshof in Konz-Niedermennig - "aber das war mir zu klein", erzählt er lachend. Simon zog es vor, in Geisenheim ein Weinbau-Ingenieur-Studium abzuschließen und anschließend über "Kupferberg" ein Jahr in der Champagne zu arbeiten. Über "Kupferberg" bekam er schließlich Wind von der Möglichkeit, das Schorlemer'sche Anwesen zu übernehmen. Herr über 33 Hektar war er zu Höchstzeiten im Jahr 1989. 30 Hektar, davon zwölf mit Rebland, hat er seinem Nachfolger Jochen Siemens verkauft. "Aus der Familie wollte niemand das Weingut übernehmen. So war ich mental darauf eingestellt, es noch ein paar Jährchen weiterzubetreiben", sagt Simon. Kontakt über Saarburgerin in München

Wie so oft im Leben kam schließlich der Zufall als Joker ins Spiel. Über die gebürtige Saarburgerin Astrid Ziegelmeier, Leiterin der Sommelier-Schule in München, wurde Simons Nachfolger Siemens auf das Weingut aufmerksam. Der hatte schon seit längerem seine Fühler ausgestreckt, ob nicht irgendwo in Deutschland ein Weingut zu haben ist. Dabei dürfte der 57-Jährige, wenngleich vielleicht etwas ungewöhnlich in diesem Alter, wohl getrost als Berufs-Quer- oder Seiteneinsteiger bezeichnet werden. Zwar sagt der gebürtige Frankfurter: "Wein war mein Leben lang mein Interessensgebiet und eine Welt, in der ich mich wohl fühle." Zwar gilt der ruhig und ausgeglichen wirkende Bartträger als Weinkenner. Denn er war eineinhalb Jahre lang Chefredakteur des Fachmagazins "Alles über Wein". Trotzdem war Jochen Siemens viel länger "in völlig anderer Mission" aktiv. 25 Jahre stand der promovierte Historiker auf der Gehaltsliste der überregionalen Tageszeitung Frankfurter Rundschau (FR). Als politischer Korrespondent versuchte er, den Lesern politische Zusammenhänge transparent zu machen. Zehn Jahre war Siemens in der Chefredaktion - bis zum Herbst 2002 und einer "unsanften" Trennung von der Geschäftsführung. Damals habe für ihn festgestanden: "Das war's mit dem Thema Tageszeitung. Ich habe alles erlebt, was man in diesem Bereich erleben kann. Was hätte noch kommen sollen?" Gekommen ist stattdessen das Angebot der Weinfachzeitschrift. Eine Zwischenstation für Siemens. Parallel hatte er längst die Ohren und Augen nach einem Weingut aufgesperrt - und sich das Simon'sche im März 2005 zum ersten Mal angesehen. "Es hat sofort bei mir geklickt", sagt Siemens. Ein paar Nächte habe er dennoch darüber schlafen müssen. Nachdem aber auch seine amerikanische Frau und sein Bruder, dessen unternehmerischer Rat ihm wichtig sei, das Weingut besichtigt und der Sache zugestimmt hätten, sei die Entscheidung gefallen. Inzwischen ist der Kauf-Vertrag abgeschlossen, Siemens hat einen Kellermeister, den Jahrgangsbesten aus Baden, und den Irscher Winzer Franz Lenz eingestellt. Warum er sich die neue Herausforderung als Quereinsteiger zutraut? "Ich könnte das nicht alleine bewältigen, das ist klar. Aber ich habe diese Fachleute fürs Weinmachen und werde mich selbst in der Hauptsache um Geschäftleitung und Vermarktung kümmern." Bert Simon will im Hintergrund in den kommenden zwei bis drei Jahren seine Erfahrung - und immerhin noch die kommende Ernte - einbringen. Mehrmals im Monat kommt Siemens von Frankfurt nach Serrig, um alles für den Start vorzubereiten. In den Sommerferien will er mit seiner Frau und den vier und acht Jahre alten Söhnen umziehen. "Ich bin voller Vorfreude. Meine Frau ist als Amerikanerin ohnehin sehr flexibel, und unsere Jungs interessiert nur, ob wirklich alles Spielzeug mit umzieht."

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