Feinste Hand- und Gefühlsarbeit

Dass das Publikum einen Konzertsaal kollektiv mit weichen Knien verlässt, kommt eher selten vor. Dirigent Christian Thielemann, das Orchester der Bayreuther Festspiele und vier handverlesene Solisten brachten in der Luxemburger Philharmonie dieses Kunststück fertig.

 Magier am Dirigentenpult in der Philharmonie: Christian Thielemann. Foto: Philharmonie

Magier am Dirigentenpult in der Philharmonie: Christian Thielemann. Foto: Philharmonie

Luxemburg. Siegfried ist tot. Mächtig schlägt die Trommel den Takt zum Trauermarsch. Jeder Paukenschlag ein Stich ins Herz. Der Dirigent vorne am Pult kriecht förmlich in sein Orchester hinein, zieht, lockt, drängt die Musiker in einen Rausch der Trauer, des Zorns, der Erhabenheit. Das Publikum berauscht sich mit, und wenn die Welle der Emotionen von der Bühne in den Saal brandet, meint man, sie hebe einen geradewegs aus dem Stuhl.Der wichtigste Wagner-Dirigent der Welt

Weil Christian Thielemann solche Höhenflüge des Öfteren entfacht, gilt er inzwischen als wichtigster Wagner-Dirigent der Welt - und als derzeit einziger unumstrittener Star der Bayreuther Festspiele. In Luxemburg wird spürbar, warum er diesen Status verdient.Thielemann folgt keinem abstrakten Konzept, er leuchtet jede Nuance von Wagners Musik mit enormem Engagement und großem Feingefühl aus. Tempo, Dynamik, Nachdenklichkeit, Rührung, Melancholie: Alles wird bis zur Neige ausgekostet, aber mit ausgesprochener Geschmackssicherheit, jede Übertreibung vermeidend. Dabei zerrt der Dirigent den Komponisten in keine Richtung, im Gegenteil: Er stellt sich vorbehaltlos in seinen Dienst. Dazu kommt Thielemanns handwerkliche Kapellmeister-Brillanz. Er türmt Klangschichten kunstvoll bis unters Dach der Philharmonie auf, jede einzelne transparent und filigran, aber in ihrer Bündelung von elementarer Wucht. Da hakt kein Übergang, da ist nichts schwammig oder verwaschen. Aber was ist das auch für ein Orchester: Lauter Wagner-Enthusiasten. Dass schweres Blech so elegant klingen kann, mag man kaum glauben. Und die Sensibilität der Herren-Riege (geschätzte 90 Prozent der Musiker dürften Männer sein) straft alle Vorurteile Lügen. Egal, ob sie im Walküren-Gewitter die Blitze einschlagen lassen, den Feuerzauber zelebrieren, mit Siegfried den Rhein heruntertänzeln oder mit Brünnhilde den Scheiterhaufen besteigen: Da ist feinste Hand- und Gefühlsarbeit angesagt. Die Sänger-Riege wird von Evelyn Herlitzius angeführt. Eine Sopranistin von hoher Präsenz, feiner Sprachbehandlung und durchschlagender Kraft in einer präzise geführten Stimme, die im Schlussgesang der Brünnhilde noch eine Spur mehr überzeugt als in den lyrischen Gefilden der Sieglinde. Da hat es Endrik Wottrich als Siegmund nicht leicht. Er wirkt verunsichert, kein Wunder angesichts der Hetzjagd mancher Kritiker auf den unbequemen und bisweilen unbesonnenen Tenor, der mit seiner Meinung selten hinterm Berg hält. Probleme sind freilich unüberhörbar: Er klingt eng, gepresst. Man hat das Gefühl, da will jemand durchs offene Fenster singen, aber er kriegt den Flügel nicht auf und muss stattdessen durch die kleine Kipp-Öffnung singen. Man vermisst das freie Strömen des Atems, die leuchtenden Töne.Was Wottrich fehlt, hat Falk Struckmann als Wotan fast schon wieder zu viel. Wuchtig, kantig, mit schierer Energie stemmt er seinen Abschiedsgesang, und die effektvolle, aber nicht unbedingt präzise Kraftmeierei wird vom Publikum begeistert gefeiert. Der Vierte im Bunde, Kwanchoul Youns "Hunding", ist in seiner stimmlichen Noblesse, die Bedrohlichkeit aus Wohlklang entwickelt, über jede Kritik erhaben. Am Ende endlos scheinender, enthusiastischer Beifall eines berührten Publikums. Katharina Wagner war übrigens auch da. Ein bisschen legerer Bayreuth-Wahlkampf in einer voll besetzten Rahmenveranstaltung vor Hunderten eingefleischter Wagnerianer, viele davon aus Trier.

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