Mit Volldampf auf der Schiene

Wie wird sie bloß - die Zukunft? Manche fürchten sich vor ihr, andere schmieden die wildesten Visionen. In Kooperation mit dem Deutschlandfunk nimmt der Volksfreund in dieser Woche den Traum vom Luftkissenzug unter die Lupe.

Trier. November 1967. Wie ein Blitz zischt er vorbei, begleitet von einem ohrenbetäubenden Fauchen. Die Presse ist tief beeindruckt. Sie notiert: "Das Fahrzeug, das eigentlich nur auf eine Geschwindigkeit von 200 km/h ausgelegt war, schafft plötzlich 345 Stundenkilometer!" Ein neuer Schienen-Weltrekord, aufgestellt von einem ungewöhnlichen Zug: Der "Aéro train" schwebte auf einem Luftkissen, angetrieben durch Propeller und Düsentriebwerke.

In den sechziger Jahren hatte Frankreich große Hoffnungen in das futuristische Vehikel gesetzt. Doch dem Patent erging es sogar noch ärger als seinem deutschen Pendant, dem Transrapid: Während die deutsche Magnetschwebebahn wenigstens als Flughafenzubringer in Schanghai verkehrt, platzte der Traum eines Luftkissenzuges bereits 1977. Die Prototypen wurden verschrottet, die Versuchsstrecken aufgegeben. Stattdessen entschied sich Paris für einen konventionellen Hochgeschwindigkeitszug - den TGV.

Ersonnen wurde der Aéro train von einem französischen Konstrukteur namens Jean Bertin. Inspiriert hatte ihn eine deutsche Erfindung aus den dreißiger Jahren, der "Schienenzeppelin". Der Maschinenbauer Franz Kruckenberg hatte ein stromlinienförmiges Gefährt entworfen, an dessen Ende ein Propeller angebracht war, angetrieben durch einen 600 PS starken Flugmotor von BMW. Die Konstruktion war konsequent auf Leichtbau getrimmt: Ähnlich wie beim Bau einer Zeppelinhülle hatte Kruckenberg einen Gitterrohrrahmen aus Stahl und Aluminium verwendet, über das er silbern lackiertes Segeltuch als Außenhaut spannte - was dem Wagen ein aerodynamisch-futuristisches Aussehen verlieh.

Am 21. Juni 1931 gelang dem "Schienenzepp"-Prototyp auf der Bahnstrecke von Hamburg nach Berlin ein Weltrekord. Das 25 Meter lange Gefährt erreichte eine Geschwindigkeit von 230,2 km/h - eine Marke, die mehr als zwei Jahrzehnte lang Bestand haben sollte. Durchsetzen konnte sich das Konzept allerdings nicht: Der Schienenzeppelin bot Platz für gerade mal 40 Passagiere, außerdem drohten die unverkleideten Rotorblätter, Passanten auf dem Bahnsteig zu verletzen. Es blieb bei einem Prototyp; Kruckenberg wandte sich dem Bau konventioneller Lokomotiven zu.

Schweben wie der Transrapid



Jean Bertin dagegen wollte mit seinem Konzept einen Schritt weiter gehen: Der Aérotrain fuhr nicht auf Rädern und Eisenbahngleisen, sondern schwebte auf einem Luftkissen wenige Millimeter über dem Boden, in der Spur gehalten von einer simplen Betonschiene ganz ähnlich wie beim Transrapid. Nach mehreren Testfahrten schaffte am 1. November 1967 ein Versuchsfahrzeug den Weltrekord von 345 km/h. "Wir haben keine zwei Jahre gebraucht, um diesen Rekord zu schaffen", freute sich Bertin. "Das beweist, wie gut das Geld des Staates angelegt ist." Rund 300 Millionen Franc hatte das Schwebebahn-Projekt den französischen Steuerzahler bis dato gekostet.

Bertin hatte mehrere kommerzielle Strecken für seine Schwebebahn im Sinn, darunter die Trassen Paris-Orléans und Paris-Lyon. Für eine Nahverkehrsroute zwischen Cergy nach La Defense wurde im Juni 1974 sogar ein Bauvertrag unterschrieben. Dann aber gewann Valéry Giscard d'Estaing die Präsidentenwahl und ließ die Verträge durch seinen Innenminister kurzerhand annullieren. "Der Aérotrain fährt zwar sehr schnell, kann aber nur wenige Passagiere befördern", begründete Michel Poniatowski die Entscheidung der französischen Regierung. "Deshalb ist er für den Verkehr zwischen großen Städten nicht optimal."

Kurz darauf stoppten die Politiker das Projekt endgültig - und forcierten stattdessen die Entwicklung des Hochgeschwindigkeitszuges TGV.

Dieser Beitrag läuft am 17. August im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe "Rückblicke auf die Zukunft" (immer dienstags um 16.35 Uhr in der Sendung "Forschung aktuell"). In der Region empfangen Sie den Deutschlandfunk auf UKW 95,4 und 104,6. Weitere Informationen im Netz unter www.dradio.de/utopien

Meistgelesen
Neueste Artikel
Vom erwischt werden
Vom erwischt werden
Vinyl der Woche: Love Is A Wonderful Thing – Michael BoltonVom erwischt werden
Zum Thema
Aus dem Ressort