Wenn der Erfolg zum Stillstand zwingt

Bitburg · Das Eifel-Literatur-Festival bietet im Herbst die Begegnung mit einer Erzählerin, die Ende der 1990er Jahre als die Stimme einer neuen Generation gefeiert wurde: Judith Hermann. Mit dem Erzählband "Sommerhaus, später" landete sie ihren literarischen Durchbruch. Das Buch wurde einer der größten deutschen Verkaufserfolge und verhalf der Kurzgeschichte zu neuem Aufschwung. Inzwischen hat Hermann auch einen Roman verfasst.

 Eigentlich wollte sie Journalistin werden, doch dann feierte die Autorin Judith Hermann mit ihrer ersten Kurzgeschichte einen Welterfolg. Was folgte waren Leistungsdruck und Jahre des Nicht-Schreibens. Foto: Andreas Labes

Eigentlich wollte sie Journalistin werden, doch dann feierte die Autorin Judith Hermann mit ihrer ersten Kurzgeschichte einen Welterfolg. Was folgte waren Leistungsdruck und Jahre des Nicht-Schreibens. Foto: Andreas Labes

Foto: ANDREAS LABES (g_kultur

Bitburg. Judith Hermann wollte ursprünglich Journalistin werden. Die Berlinerin besuchte die Journalistenschule in ihrer Heimatstadt, studierte Germanistik und Philosophie, brach aber ab und ging nach New York, wo sie ihre ersten literarischen Texte verfasste. 1997 erhielt sie nach Teilnahme an einer Autorenwerkstatt ein Stipendium der Akademie der Künste Berlin. Ein Jahr später wurde ihr Debut "Sommerhaus, später" veröffentlicht, und ein Raunen ging durch die Literaturwelt. Die 28-Jährige hatte in einem ganz eigenen, lakonischen bis melancholischen Stil alltägliche Begebenheiten erzählt, kleine Geschichten, in denen nicht wirklich viel passiert, aber in knappen Worten Befindlichkeiten transportiert werden.
Eifel-Literatur-Festival 2016


Das sei "der Sound einer neuen Generation" befand Literaturkritiker Hellmuth Karasek. Andere lobten, dass Hermann besonders das Lebensgefühl der in Berlin ansässigen Künstler-Intellektuellen und Subkultur-Szene eingefangen habe. Tatsächlich hatte das Buch den Nerv der Zeit getroffen, es verkaufte sich über 250 000 Mal und wurde in 17 Sprachen übersetzt. Eine Welle weiterer Erzählbände mit Kurzgeschichten junger Autorinnen flutete plötzlich übers Land. Eine Frauengeneration mit neuem Anspruch und Selbstverständnis etablierte sich im Literaturbetrieb, darunter Namen wie Felicitas Hoppe, Juli Zeh oder Jenny Erpenbeck. Um Judith Hermann selbst allerdings wurde es still.
Plötzlicher Ruhm als Druckmittel


Erst 2003 meldete sie sich mit neuen Kurzgeschichten unter dem Titel "Nichts als Gespenster" zurück. Grund für die Pause war der große Druck, der durch den plötzlichen Ruhm und Erfolg auf ihr lastete. Im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung äußerte sie dazu: "Wenn man ein Buch geschrieben hat, das solch eine Resonanz bekommen hat, dann kann man sich des Gedankens nicht erwehren, man möchte mit dem zweiten Buch die Erwartungen, die da aufgebaut worden sind, dann auch erfüllen".
Jeden Satz, den sie fortan geschrieben habe, habe sie der Prüfung unterzogen, ob er Kritikerurteilen wie "schwebend melancholisch" oder "Satz einer großen Autorin" entspreche und dann schließlich wieder gelöscht.
Erst die Geburt ihres kleinen Sohnes habe alles neu zentriert und ihr das Schreibvermögen zurückgegeben. "Nichts als Gespenster", das längere und international angesiedelte Geschichten enthält, wurde von der Kritik gut, wenn auch nicht so begeistert aufgenommen wie ihr Erstling.
Und wieder stand Judith Hermann an einer Schwelle, wie sie in einem anderen Interview beschreibt: "Mein großes Glücksgefühl hat sich schon wieder in Luft aufgelöst ... Ich habe sehr große Angst vor dem dritten Buch gerade... Auch dieses zweite Buch wird eine Position einnehmen, von der sich das dritte wieder abheben muss. Es ist eine Sisyphus-Situation, den Stein immer wieder von vorne den Berg hinaufzurollen ...". Das dritte Buch, "Alice", wurde zum Erfolg, von diesem wiederum hob sie das vierte durch die Wahl eines anderen Genres ab: "Aller Liebe Anfang" ist ihr erster Roman.
Zu ihrer Lesung beim Eifel-Literatur-Festival in Bitburg ist er als Lektüre angekündigt. Gespannt sein darf das Publikum aber auch auf eine brandneue Veröffentlichung, den Erzählungsband "Lettipark".
Extra

Paul Maar, Mittwoch, 7. September, 15 Uhr, Aula St. Matthias-Gymnasium Gerolstein, Uwe Timm, Freitag, 9. September, 10.30 Uhr, Aula St. Matthias-Gymnasium Gerolstein, Schullesung; ebenfalls 9. September, 20 Uhr, Cusanus-Gymnasium Wittlich, öffentliche Lesung, Judith Hermann, Freitag, 23. September, Haus Beda, Bitburg, Pater Anselm Grün, "Versäume nicht dein Leben", Donnerstag, 6. Oktober, Stadthalle Bitburg, Alpenkrimi-Autor Jörg Maurer, Freitag, 14. Oktober, Forum, Daun, Bettina Tietjen, "Mein Vater, die Demenz und ich", Freitag, 21. Oktober, Karolingerhalle, Prüm, Thrillerautor Sebastian Fitzek, Samstag, 29. Oktober, Stadthalle Bitburg. Die Lesungen beginnen, wenn nicht anders angegeben, um 20 Uhr. red Karten: TV-Service-Center Trier, Hotline 0651/7199-996, <%LINK auto="true" href="http://www.volksfreund.de/tickets" text="www.volksfreund.de/tickets" class="more"%>Extra

Judith Hermanns Roman "Aller Liebe Anfang" erzählt von Stella, die mit ihrem Ehemann Jason und Tochter Ava im geschmackvollen Einfamilienhaus lebt. Ihr Leben verläuft in friedlichen, scheinbar unerschütterlichen Bahnen. Jeden Tag geht sie ihrem Beruf nach, der sie ebenso ausfüllt wie die familiären Pflichten. Sie bewegt sich im Radius eines vertrauten, wenn auch anonymen Vorstadtumfelds. Da steht plötzlich Mr. Pfister vor der Tür, ein ihr fremder Mann, der sagt, er kenne sie. Sie lehnt ein Gespräch ab. Fortan aber klingelt er häufig bei ihr, legt täglich Briefe, CDs oder andere Gegenstände in den Briefkasten. Mr. Pfister ist Stalker, und das bringt die so sicher geglaubte Existenz Stellas ins Wanken. ae Aller Liebe Anfang, Verlag S. Fischer, gebunden, 224 Seiten, ISBN 978-3100331830, Preis 19,99 Euro.

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