Zurück in der Atomhölle - Einige Japaner trotzen der Gefahr

Die Orte um das zerstörte Kernkraftwerk Fukushima gleichen Geisterstädten. Die Bürger dürfen nicht in die Sperrzone. Doch einige von ihnen widersetzen sich dem Evakuierungsbefehl.

Tokio. In Begleitung eines Soldaten nähert sich Sanai Yamauchi der Sperrzone. "Gefahr. Betreten verboten", steht auf einem Schild. Yamauchi ignoriert die Warnung und steht plötzlich in jenem Gebiet, das seit fast vier Wochen in aller Welt als Atomhölle bekannt ist. 20 Kilometer entfernt steht das zerstörte Kernkraftwerk Fukushima Eins, aus dem unsichtbar radioaktive Strahlung austritt.

Noch schnell ein Andenken holen



Trotz des Evakuierungsbefehls der Regierung harren in der Sperrzone immer noch Menschen aus, meist sind es ältere. "Ich kann sie nicht im Stich lassen", sagt Yamauchi. Deshalb kehrt der Vize-Vorsitzende der Stadtversammlung von Naraha jeden Tag in den in der Sperrzone gelegenen Ort zurück - obwohl er um die Gefahr weiß, wie die Zeitung "Asahi Shimbun" berichtet. Der 61-jährige Japaner ist nicht der einzige, der diesen Mut aufbringt. Eigentlich dürfen hier nur Beamte der Zentral- und Regionalregierungen sowie Rettungskräfte hinein. Polizeistreifen patrouillieren in der Gegend, überall auf den Zufahrtsstraßen sind Verbotsschilder aufgestellt. Öffentliche Telefone sind außer Betrieb, auch Mobiltelefone funktionieren nicht.

Der Fotojournalist Naomi Toyoda wollte sich selbst von der Gefahr überzeugen. Er fuhr zwei Tage nach der Katastrophe mit einem Geigerzähler nach Futaba, wo die Atomruine steht. "Die Anzeigenadel schlug sofort aus. Unfassbar, beängstigend", erzählte Toyoda. Dennoch lassen sich manche der Evakuierten nicht abschrecken, noch mal kurz in das Gebiet zurückzugehen. So wie der Fahrer eines Kleinlasters, der in der Zeitung "Mainichi Shimbun" erzählt, wie er an den Ort zurückgekehrt ist, an dem der Tsunami sein Haus fortgerissen hatte. Er habe eine Stunde lang unter anderem nach Familienfotos gesucht.

"Auf einem Hügel am Grab unserer Familie habe ich mich bedankt, dass unsere vierköpfige Familie vor dem Tsunami beschützt wurde", erzählt der Mann. Und dann habe er noch darum gebetet, dass er und seine Familie auch weiterhin beschützt werden. "Obwohl wir möglicherweise nie mehr hierher zurückkönnen", sagt er. Ähnlich ging es einer 58-jährigen Frau, die einen Eisenverarbeitungsbetrieb leitet. Auch sie scheute die radioaktive Gefahr nicht und fuhr mit ihrem Sohn in die Sperrzone zurück, um Geschäftspapiere und Kleidung herauszuholen. Sie habe noch Rechnungen zu bezahlen und wolle ihre Geschäftspartner nicht damit warten lassen.

Für die wenigen Mutigen, die sich zurücktrauen, muss die Sperrzone wie aus einem düsteren Horrorfilm anmuten. Die Dörfer sind verlassen, an den Straßen stehen zerfallene Häuser. Laut Berichten fressen zurückgelassene Tiere sich gegenseitig auf. Es wäre besser, sie freizulassen, damit sie nicht im Stall verenden, sagt Yamauchi, der Stadtabgeordnete. Es seien Szenen, wie man sie sich vor vier Wochen noch nicht habe vorstellen können.

EXTRA



Kleiner Erfolg im Katastrophen-Kraftwerk: Die Arbeiter in der Atomruine Fukushima haben ein gefährliches Leck abgedichtet. Durch den Riss in der Betonwand eines Kabelschachtes fließe nun kein radioaktiv verseuchtes Wasser mehr in den Pazifik, berichteten japanische Medien. Unklar ist aber, ob die Abdichtung mit sogenanntem Wasserglas halten wird und ob es noch andere Lecks im Kraftwerk gibt. Die Folgen der Strahlenbelastung für das Ökosystem im Pazifik dürften erst nach und nach zutage treten. Weiterhin versucht der Betreiber Tepco, weitere Explosionen zu verhindern. dpa

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