Achim will Lisa sein

TRIER. Ein Leben im falschen Körper: Während Achim Lisa sein will, hat Anna schon Abschied von Frank genommen. Zwei Transsexuelle (Namen jeweils geändert) erzählen von ihrem Anderssein. Hilfe finden sie bei der neuen Trierer Selbsthilfegruppe.

Da sitzen sie zusammen am großen Küchentisch: Lisa und Achim sowie Anna und Frank. Sie sind nicht etwa zwei verliebte Paare, es sind noch nicht einmal vier einzelne Menschen. Vielmehr ist Frank nun Anna, und Achim will Lisa sein. Die beiden ursprünglichen Männer sind transsexuell, fühlen sich dem ihnen von der Natur zugeschriebenen Geschlecht nicht verbunden. Sie möchten sich lieber wie eine Frau fühlen, ja sogar eine Frau sein. Schon der Weg bis zur heutigen Situation war für Achim sehr schwer. Obwohl man es ihm noch nicht ansieht. So, wie er momentan dasitzt, in Jeans, schwarzem T-Shirt und grüner Strickweste, sieht er wie ein ganz normaler, schlanker, jung gebliebener Mann aus. Allein durch die funkelnden Ohrstecker könnte man ins Grübeln geraten. Doch der 44-jährige Achim, der nun schon per Hormonbehandlung auf dem Weg zur Lisa ist, hatte erst vor kurzem sein Coming-Out gegenüber seiner Familie - gegenüber seiner Frau, mit der er seit 20 Jahren verheiratet ist, und den drei Kindern. Herausgekommen ist es zufällig. Achim hatte Bücher zum Thema Transsexualität im Internet bestellt. Seine Tochter hatte dann die Rechnung gefunden. "Meine Kinder gehen zeitweise recht offen mit dem Thema um. Mein Sohn hat noch Probleme damit, und für meine Frau war es sehr erniedrigend", sagt Achim. "Doch wir wussten schon seit Jahren, dass irgendwas in unserer Beziehung nicht stimmt." Er trug bereits zuvor heimlich die Kleidung seiner Frau. Als sie das entdeckte, gelobte er Besserung. Doch dieses Versprechen konnte Achim nicht halten. Das Verlangen nach dem Frau-Sein war größer. Schon vor seinem Coming-Out suchte Achim den Ausweg im Alkohol und schreckte auch vor einem Selbstmord-Versuch nicht zurück. Doch er überlebte - und ist nun glücklich darüber. Genauso wie seine Familie. Ähnlich wie seine Schwestern reagierte auch Achims Mutter. "Wenn ich ihr gesagt hätte, ich leide an Krebs, wäre es schlimmer für sie gewesen", erzählt Achim erleichtert. Dennoch gebe es auch Freunde, die sich nun von ihm abwenden. "Doch das waren keine echten Freunde."Schminken heimlich im Wald

Ähnlich erging es auch Anna, die vor 46 Jahren als Frank zur Welt kam und nun in einem kleinen Dorf im Hunsrück alleine wohnt. Auch sie fühlte bereits in Kindheitsjahren einen gewissen Neid auf andere Mädchen. "Wenn im Bad Kleider meiner Schwestern lagen, habe ich sie anprobiert", erzählt Anna heute. Als er - also damals noch Frank - den Führerschein hatte, kaufte er sich seine eigenen Klamotten und fuhr hinaus in größere Städte - dorthin, wo Toleranz herrschen, ihn aber gleichzeitig auch niemand erkennen sollte. Auf dem Weg dorthin, im Wald, hielt er an, um sich zu schminken. "Ich wusste in dem Moment nicht, was mit mir vorging", erinnert sich Anna. Frank wollte sein Anderssein damals nicht direkt wahrhaben und schmiss die Blusen und Dessous zwischendurch wieder in die Mülltonne. Doch das seltsame Gefühl blieb. Frank bekam eine Neurose und vertraute sich letztlich seiner Neurologin an. Damit war es endlich geschafft. Nach mehr als 30 Jahren im "falschen Körper" war es raus. Das war vor sechs Jahren. Inzwischen hat Anna eine gute Therapeutin gefunden, die sie im Alltag unterstützt. Denn bis heute kommen nicht alle aus ihrer Familie mit der Neugeburt ihrer Angehörigen klar. Für die älteste der jüngeren Schwestern ist alles in Ordnung. Der ältere Bruder dagegen spricht sie noch immer mit Frank an. Lockerer reagierten dagegen die Kollegen in der Musikkapelle. "Es hieß, sie hätten ein Mitglied verloren, aber dafür auch wieder eines dazugewonnen", erzählt Anna mit einem Grinsen auf den Lippen. Auf ebenso offene Menschen traf sie bei ihrem ersten Einkaufsbummel als Frau. Bei der Suche nach der richtigen Bluse waren die Verkäuferinnen sehr hilfsbereit. "Zuerst hatte ich ein gewisses Schamgefühl", erinnert sich Anna. "Doch inzwischen ist es normal." Normal ist für Anna inzwischen auch, dass sie voll und ganz Frau ist. Sie hat die geschlechtsumwandelnde Operation bereits hinter sich. Und nach der Personenstandsänderung ist sie nun auch vor dem Gesetz eine Frau. Der Weg bis dorthin war steinig. Unzählige Gutachten von Ärzten und Therapeuten musste sie sammeln. "Meine Krankenkasse wollte mir die Transsexualität ausreden und so die Kosten für die OP sparen", sagt Anna. Doch sie konnte ihre Neigung gutachterlich beweisen. Der Kampf mit der Krankenkasse geht weiter. "Ein Brustaufbau zum Beispiel wird erst unterstützt, wenn ein Selbstmord-Versuch vorliegt", sagt Anna verständnislos. Doch die Zeiten dieser düsteren Gedanken sind vorbei. Anna und Lisa stehen in engem Kontakt zueinander. Die eine hilft der anderen, soweit es geht. Und vielleicht sieht man sie bald zusammen in der Parfümerie, auf der Suche nach dem richtigen Lippenstift.

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