Dissonanzen in der Welt der Berge

TRIER. Literatur trifft Musik – dieses experimentelle und bisweilen abenteuerliche Projekt ist in seinen Facetten so vielfältig, wie kaum eine andere künstlerische Ausdrucksform. Doch es kommt auch hier immer darauf an, was man daraus macht: Die Zusammenführung von Gedichten des saarländischen Schriftstellers Alfred Gulden mit experimentell-intuitivem Free-Jazz aus der Feder des Posaunisten Christof Thewes ist eigenwillig – und trifft nicht immer den Nerv des Publikums.

 Durchblick dank Stirnlampe? Schriftsteller Alfred Gulden liest seinen Gedichtzyklus "Glück auf – Ins Gebirg!/Bergwerk".TV-Foto: Kim-Björn Becker

Durchblick dank Stirnlampe? Schriftsteller Alfred Gulden liest seinen Gedichtzyklus "Glück auf – Ins Gebirg!/Bergwerk".TV-Foto: Kim-Björn Becker

Eigentlich ist es eine fast existenzielle Frage. Was war zuerst? Wird die Literatur vertont oder die Musik literarisiert? Wenn zwei Ausdrucksformen zusammenfinden wollen, brauchen sie zumindest einen gemeinsamen Nenner, eine gemeinsame Sprache. Dass diese faszinierend, wenngleich auch nicht immer sofort verständlich ist, erlebten die Zuschauer der Trierer Tuchfabrik bei "Glück auf - Ins Gebirg!/Bergwerk". Aneinanderreihung alpiner Begriffe

Die zwei Gedichtzyklen zu den Themen "Gebirge" und "Bergwerk", allesamt aus der Feder des Schriftstellers Alfred Gulden, trafen hier auf experimentellen Jazz. Wobei die Betonung deutlich mehr auf experimentell liegt denn auf Jazz. Der Posaunist und Komponist Christof Thewes blies zusammen mit Wollie Kaiser an den Saxofonen und Trompeter Daniel Schmitz den Takt für den Text. Mal laut, mal leise und häufig eher dissonant als melodisch. Eine Aneinanderreihung alpiner Begriffe von "Wanderstock", "festes Schuhwerk" bis hin zu "Schwindel" und "Freiheit" lässt die Zuhörer eintauchen in die lyrische Welt der Berge. Laut, majestätisch und das lange Echo des Gebirges wiederholend, untermalen die Blechbläser den erst langsam, dann hektisch und zwischendurch fast panisch vorgetragenen Gedichtzyklus zum Thema "Gebirge". Mit Stirnlampen bewaffnet und auf gänzlich verdunkelter Bühne intonierte das Quartett den zweiten Gedichtzyklus zum Thema "Bergwerk". In den vergangenen Jahren brachte es das Duo Gulden/Thewes auf zwölf lyrisch-jazzige Projekte, von klassischer Bigband-Besetzung bis hin zum Quartett. "Die Stimme ist dabei Teil des Ganzen, improvisiert gleichermaßen", sagt Gulden, "sie sollte sich mit der Musik zusammenfügen." Dabei setzen Sprecher und Musiker auf der Bühne vor allem auf Spontaneität. "Wir suchen immer nach einer neuen Form der Realität, dabei gibt es streng durchkomponierte Passagen, aber auch improvisierte Teile", erzählt Posaunist und Komponist Christof Thewes. Text und Musik beziehen sich aufeinander, entstehen aber stets getrennt. Erst am Ende wird beides zum fertigen Endergebnis zusammengebracht. Dass dabei die Posaune auch mal nach dem Schnattern einer Ente klingen darf, gehört zum Konzept. Trotz des dramaturgisch geplanten Ablaufs wirkt es, als ob die drei Blechbläser dabei selbstständig agierten - ein "teilkontrolliertes Chaos" weicht augenscheinlich den klassischen Kompositionsgesetzen. Das Klangexperiment steht im Vordergrund und darf dann auch unkoordiniert und dissonant wirken."Interessante Kombination"

Für die Zuhörer sorgt diese Herangehensweise für unterschiedliche Wahrnehmungen. "Das war gewöhnungsbedürftig", sagte ein Besucher, "die Kombination war zwar interessant, allerdings passten Musik und Text nicht immer zusammen." Für andere machte gerade der gegenseitige Bezug der zwei Ausdrucksformen den Reiz der Darbietung aus. "Mir gefiel es gut, auch die Atmosphäre des kleinen Saals passte ins Konzept", freute sich eine Zuhörerin. Das symbiotische Experiment ist also dahingehend geglückt, dass es eine neue Form der Auseinandersetzung mit Literatur und Musik bot. Doch auch dann gilt: Papier ist geduldig, die Ohren sind es nicht immer.

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