Wenn die Not zu groß wird

TRIER. Hinter den stabilen Türen des Hauses Maria Goretti, eines Notaufnahmeheims für Frauen und Mädchen, und im Haltepunkt spielen sich täglich Dramen ab. Die Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen brauchen neben der fachlichen Kompetenz enormes Einfühlungsvermögen und stählerne Nerven.

 Gewalt, Schulden, Sucht, psychische Erkrankung – der Sozialdienst katholischer Frauen bietet Hilfe auf allen Ebenen. Foto: TV-Archiv/Willi Speicher

Gewalt, Schulden, Sucht, psychische Erkrankung – der Sozialdienst katholischer Frauen bietet Hilfe auf allen Ebenen. Foto: TV-Archiv/Willi Speicher

Niemand sieht Sabine an, was sie hinter sich hat. Das Leben der aus Trier stammenden 20-Jährigen war ein einziger Albtraum, ein Horror-Film in einer Endlosschleife, bis sie vor zwei Jahren die Schwelle des "Haltepunkts" überschritt. "Sabine hat es mit professioneller Unterstützung geschafft, sich eine neue Chance zu geben", sagt Iris Kaeding, die Leiterin des "Haltepunkts". "Ihre Geschichte ist keine Ausnahme. So wie ihr geht es vielen Frauen, die im "Haltepunkt" Zuflucht und Hilfe suchen."Sabines entsteht durch eine Vergewaltigung, ihre Mutter lehnt sie nach der Geburt ab und bevorzugt den älteren Bruder. Im Alter von vier Jahren wird sie zum ersten Mal von ihrem Onkel sexuell missbraucht. Sabine ist acht, als sie ihren ersten Selbstmordversuch unternimmt. Die Familie verheimlicht den jahrelangen Missbrauch, der nach einem mehrwöchigen Psychiatrieaufenthalt des kleinen Mädchens weitergeht.

Mit elf Jahren nimmt Sabine zum ersten Mal Drogen. Mit 13 wird sie wieder missbraucht, dieses Mal vom aktuellen Freund ihrer Mutter. Und wieder gibt es keine Hilfe von der Familie. Als junge Erwachsene macht sie den Hauptschulabschluss an der Volkshochschule nach, bricht mit ihrer Familie und beginnt eine Ausbildung zur Kosmetikerin. Sabine lernt eine andere Frau kennen, doch die Beziehung scheitert. Da sie finanziell und auch emotional von ihrer Freundin abhängig ist, landet Sabine auf der Straße. Ihre Ausbildung bricht sie ab. Erst im "Haltepunkt" findet sie Hilfe.

Die Sozialarbeiterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen begleiten sie zu Ärzten und Behörden. Sabine schließt trotz mehrerer Rückfälle - sie nimmt Drogen, verletzt sich selbst und unternimmt einen weiteren Selbstmordversuch - eine Qualifizierung ab, die sie auf eine Berufsausbildung vorbereitet. Im Herbst startet sie eine Ausbildung zur Sozialhelferin, außerdem beginnt sie eine Psychotherapie.

Sabine ist einverstanden, ihren Fall der Öffentlichkeit zu präsentieren, will ihn aber nicht weiter kommentieren. Nur auf einen Satz legt sie großen Wert: "Im Haltepunkt habe ich zum ersten Mal erfahren, wie es ist, wenn Menschen für mich da sind."

Maria Goretti wurde 1902 im italienischen Argo Pontino ermordet, als sie einen sexuellen Missbrauch abwehren wollte. Sie war zwölf Jahre alt. 1950 sprach Papst Pius XII. sie heilig, da sie ihrem Mörder der Überlieferung nach kurz vor ihrem Tod verziehen hatte und ihn bei sich im Himmel haben wollte. Das Trierer Notaufnahmeheim für Frauen und Mädchen trägt ihren Namen. "Wir haben 17 Plätze für Frauen und fünf für Mädchen", sagt die Leiterin Helga Merges. "Eine Notaufnahme ist rund um die Uhr möglich, es ist immer ein qualifizierter Ansprechpartner vor Ort." 2005 wurden 192 Frauen aufgenommen, 89 davon an Wochenenden, Feiertagen oder in der Nacht.

"Wir sehen uns die Leute auf Monitoren an, bevor wir die Tür öffnen", betont Helga Merges. Manchmal werden geschlagene und misshandelte Frauen, die ins Haus Maria Goretti fliehen, von ihrem gewalttätigen Partner verfolgt. "Die Polizei ist in solchen Fällen schnell informiert." Rein kommt jede Frau, die um Hilfe bittet. Merges: "Wir nehmen zuerst auf und klären die Lage anschließend. Niemand bleibt vor verschlossener Tür stehen."

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