Trier ist spannend - es weiß nur keiner

Trier ist langweilig. Das zumindest behauptet die deutsche Medienlandschaft in regelmäßigen Abständen von der ältesten Stadt Deutschlands, zuletzt das Nachrichtenmagazin "Unispiegel". Der Autor des Hamburger Magazins sucht in dem Text, der zwei Seiten darin einnimmt, nach dem Notausgang aus der Römerstadt. Auch ein Autor der Süddeutschen Zeitung leitet den Artikel "Goldene Zeiten", in dem es um die kommende Kaiser-Nero- Ausstellung geht, damit ein, dass er behauptet, Trier hätte sich schon immer ein wenig "verkannt" gefühlt. Michael Jäckel, der Präsident der Universität Trier, kann das alles nicht nachvollziehen. Trotzdem sucht auch er in seinem Gastbeitrag für den Trierischen Volksfreund nach einer Erklärung für das Imageproblem von Trier.

Trier ist spannend - es weiß nur keiner
Foto: roland morgen (rm.) ("TV-Upload morgen"

Stimmt es, dass man in Trier häufig mit "Unn?" begrüßt wird? Und stimmt es, dass hier nichts los ist? Auch wenn drei Leute schon als "milljunen Leut" gelten? Keine Suggestivfragen, sondern Beschreibungen von Trier in der nationalen Presse. Stimmt das oder stimmt da was nicht?
Es gehört zu den Besonderheiten der Heimatverbundenheit, dass nicht nur die Erinnerung in schönen Farben gespiegelt wird, sondern auch eine Verstärkung von ähnlichen Empfindungen unter Gleichgesinnten den Blick auf Erwünschtes verstellt, das einem Fremden gleichsam sofort auffallen mag. Es kann daher, wie auch gerne gesagt wird, zuweilen "erfrischend" sein, wenn jenen, die vor lauter gegenseitigem "heimelig machen" sich gar nicht anders als heimisch und zugleich behaglich fühlen können, der berühmte Spiegel vorgehalten wird. Dabei ist - wie so oft - das Bild unpassend.
Denn, wer dieses Sprichwort bemüht, erwartet ja das Einnehmen einer anderen Perspektive. Tatsächlich kann nun auch der Blick in unser Inneres kein unvermittelter sein. Denn wer kennt nicht auch die Formulierung "sich in ein gutes Licht rücken". UnvoreingenommenenWahrnehmung ist also eine schwierige Sache. Von Max Frisch wissen wir, dass "jeder Versuch, sich mitzuteilen, […] nur mit dem Wohlwollen der anderen gelingen [kann]." Gleich mehrfach war für Trierer in den vergangenen Wochen Anlass gegeben, sich über die fremde Wahrnehmung der eigenen Umwelt zu wundern.
Trier sei langweilig


Es begann mit einem Artikel auf Spiegel Online, der bereits nach seinem ersten Absatz sehr berechenbar wirkte. Trier sei "laaangweilig", wurde eine Studentin zitiert, man erhält Einblicke in eine Kneipenkultur, die dem historischen Freilichtmuseum Trier den Vortritt lassen müsse, der Notausgang aus der Geschichte in die Gegenwart fehle - und dann auch der Hinweis auf die Zeit vor 2000 Jahren.
Wer wagt sich schon, wie Hanns-Josef Ortheil in seiner "Moselreise", zu schreiben: "Jetzt geht mal in Ruhe durch diesen uralten Bau und schaut Euch in Ruhe alles an." Gemeint war in diesem Fall die Konstantinbasilika. Langeweile ist zuerst und vor allem also ein Gemütszustand. Selbst in Berlin und anderen Metropolen ist Abwechslung nun einmal nicht garantiert.
Es folgte - worauf man eigentlich stolz sein könnte - eine kurze Erwähnung von Trier im Streiflicht der Süddeutschen Zeitung. "Man geht nicht ungestraft nach Trier. Man geht nach Trier und macht sich lächerlich." Der "Weltverbesserer", ein Drama von Thomas Bernhard, wurde hier zitiert. Dieser Weltenbummler beschert in Verbindung mit Trier bei Suchanfragen im Internet einen der vorderen Einträge. Aufhänger der Glosse war die nicht unwesentliche Frage, ob Städte heute eigentlich nur noch über Gefällt-mir-Mitteilungen auf Facebook wahrgenommen werden. Beruhigend war hier allenfalls, dass ein Weltverbesserer nun einmal grundsätzlich kaum etwas Positives wahrzunehmen vermag und auch Lübeck, Wien oder Paris harsche Kritik ertragen mussten. Schließlich dann ein großer Artikel, erneut in der Süddeutschen Zeitung, eine ganze Seite füllend, mit verheißungsvoller Überschrift angekündigt, die "Goldene Zeiten" lautete und Trier sogleich als Stadt darstellte, die "sich immer ein wenig verkannt [fühle]." Auch da fragt man sich, ob es an der Geringschätzung des Trierer Goldschatzes liegt oder an der Unfähigkeit der lokalen Bevölkerung, sich angesichts der vielen Schätze, die sie hat, angemessen gewürdigt zu sehen. Oder wo liegt das Problem?
Gefühl der Vernachlässigung


Vielleicht liegt es an der Randlage und der Vorstellung, dass in Grenzregionen - zumindest historisch gesehen - stets ein Gefühl der Vernachlässigung durch das Zentrum (wo immer das in Deutschland dann gewesen sein mag) existiert.
Und wenn diese Karten von der Welt sich kognitiv und emotional erst einmal verfestigt haben, ist es keine einfache Aufgabe, aus dieser Argumentationskette auszubrechen. Die, die sich selbst als "eigenes Völkchen" beschreiben, reklamieren für sich eine Besonderheit, die ihnen in dieser Wahrnehmungsschieflage Identität verleiht und der Gegenseite zugleich als Folie dient, die sich leicht wiederbeleben lässt. Vorurteile dieser Art haben etwas Bequemes, weil sie den Widerspruch für sich aus der Welt schaffen und gleichsam die Unvereinbarkeit auf Dauer stellen. In dieses Bild passt offenbar auch die vor einiger Zeit in dieser Zeitung vertretene These, dass in Trier Trends erst geboren werden, wenn sie anderenorts bereits beerdigt wurden. Es sollte an dieser Stelle zumindest die Frage erlaubt sein, wie lokal und einheimisch Trier und seine Umgebung angesichts der Mobilitätsströme der letzten Jahre eigentlich noch ist.
Da sind definitiv viele Talente in die Region gekommen, die diese auch zu schätzen wissen und an ihrer positiven Weiterentwicklung sehr interessiert sind - auch und gerade weil andere Regionen der Republik sehr begehrt sind.
In der Summe soll jedenfalls festgehalten werden, dass aus heutiger Sicht mit der Wahrnehmung von Trier etwas nicht zu stimmen scheint - in der Selbst- und in der Fremdwahrnehmung. Aber es sollte zugleich hinzugefügt werden: ohne Grund erfolgt dies vielleicht nicht. Eher sollten sich alle Verantwortlichen noch einmal ermuntert fühlen, über bewährte und neue Formen der Darstellung von Trier und der Region nachzudenken. Man denke zuerst einmal an die Lebensqualität, das kulturelle und Freizeitangebot, den Studienstandort, die Arbeitsplätze, die attraktiven Nachbarregionen. Im Tourismus verändern sich die Ansprüche, auch bei internationalen Zielgruppen, Stadt- und Regionaltourismus könnten noch besser miteinander verzahnt werden. Einem Hochschulstandort, der sich kreativ weiterentwickeln möchte, kann es nicht egal sein - und dem Verfasser dieser Zeilen erst recht nicht - wie die Stadt in der öffentlichen Meinung wahrgenommen wird.
Ja, die Verkehrsinfrastruktur und die Anbindung sind ein Problem. Strukturpolitik verlangt - man denke an das Reisen mit der Bahn - einen langen Atem. Meine jüngste Erfahrung ("Bitte nehmen Sie Ihre Gepäckstücke auf den Schoß, damit jeder einen Platz bekommt.") scheint kein Sonderfall zu sein. 2030 steht da als Jahr der Erlösung am Horizont. Was soll man damit anfangen? Auch die Debatten über ein zukünftiges Trier sind meistens so weit weg, dass kaum einer noch willens ist, an diesem Beschreiben und Anheften von roten, grünen und blauen Kärtchen mitzuwirken.
Da wünscht man sich in der Tat "leichteres Gepäck". Neben "Unn" und "Piep. Piep. Piep" also auch häufiger etwas mehr der relevanten Vorzüge und Besonderheiten, die ohne Zweifel da sind, in den Vordergrund stellen, würde bestimmt nicht schaden. Ob man sich diese Freiheit holt oder nimmt, kann jeder selbst entscheiden. Es sind häufig die kleinen Dinge, die Großes bewirken können. Wenn ein Stereotyp erst einmal in der Welt ist, wird man es so schnell nicht wieder los. Denn das Besondere des Stereotyps besteht darin, dass es weitgehend losgelöst von unmittelbarer Erfahrung die Umweltwahrnehmung bestimmt. Trier war nicht mal eine Stadt, sondern ist eine. Wenn es gelänge, diesen an sich trivialen Sachverhalt angemessen zu vermitteln, würden die vielen kleineren und größeren Initiativen, die es bereits gibt, auch nicht verkannt werden.Extra

 Michael Jäckel.

Michael Jäckel.

Foto: (h_st )

Professor Dr. Michael Jäckel, 1959 in Oberwesel, Rheinland-Pfalz, geboren, wurde im Februar 2011 zum Präsidenten der Universität Trier gewählt, nachdem er seit 2003 bereits acht Jahre der Vizepräsident der Universität war. Seit 2002 hat Jäckel eine Professur in Soziologie an der Universität Trier inne - Spezialgebiet Konsumforschung. Außerdem ist er Mitglied des Direktoriums und ebenso Mitbegründer des Competence Center Elec tronic-Business sowie Sprecher der Sektion "Medien- und Kommunikationssoziologie" der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. red

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