"…die Tür macht weit"

Ferdinand Kohn ist kein Pfarrer wie jeder andere: Seine "Schäfchen" sind Betrüger, Einbrecher und gelegentlich auch mal Mörder. Seit acht Jahren ist er katholischer Gefängnispfarrer in Wittlich und Trier und betreibt dort Seelsorge für Insassen und Bedienstete.Wer Pfarrer Ferdinand Kohn in seinem Büro in der Wittlicher Justizvollzugsanstalt (JVA) besuchen will, muss erst einige Stahltüren und Tore passieren. "Haben Sie ein Handy oder irgendwelche Waffen dabei?", fragt der Beamte, der im Eingangsbereich die Eintretenden auf verbotene Gegenstände untersucht. Neben den Besuchern passieren rund 360 Bedienstete der JVA täglich jene Sicherheitstore, die für etwa 380 Insassen im geschlossenen Vollzug versperrt bleiben. Pfarrer Kohn hat auch für Muslime ein offenes Ohr

 Der „Chor der Gefangenen“ probt immer freitags für den Sonntagsgottesdienst mit Pfarrer Kohn und einem ehrenamtlichen Helfer. Das Lieblingsstück im Advent war: „Macht hoch die Tür“. TV-Foto: Michael Merten

Der „Chor der Gefangenen“ probt immer freitags für den Sonntagsgottesdienst mit Pfarrer Kohn und einem ehrenamtlichen Helfer. Das Lieblingsstück im Advent war: „Macht hoch die Tür“. TV-Foto: Michael Merten

 Zu den Bediensteten hat Gefängnispfarrer Ferdinand Kohn ein gutes Verhältnis: Auch sie nehmen die seelsorgerlichen Angebote wahr. TV-Foto: Michael Merten

Zu den Bediensteten hat Gefängnispfarrer Ferdinand Kohn ein gutes Verhältnis: Auch sie nehmen die seelsorgerlichen Angebote wahr. TV-Foto: Michael Merten

 Das Gespräch mit den Insassen ist die wichtigste Arbeit von Gefängnispfarrer Ferdinand Kohn, der in den Justizvollzugs-Anstalten Wittlich und Trier arbeitet. TV-Foto: Michael Merten

Das Gespräch mit den Insassen ist die wichtigste Arbeit von Gefängnispfarrer Ferdinand Kohn, der in den Justizvollzugs-Anstalten Wittlich und Trier arbeitet. TV-Foto: Michael Merten

Die meisten von ihnen sitzen zwischen zwei und fünf Jahren für Straftaten im mittleren Bereich der Kriminalität. "Aber da unser Gefängniskrankenhaus auch Insassen anderer Anstalten aufnimmt, sind zeitweise auch Menschen mit lebenslanger Haftstrafe hier", erklärt Ursula Decker, Mitglied der Anstaltsleitung. Ihr Kollege Thomas Möhn vom allgemeinen Vollzugsdienst beschreibt den durchschnittlichen Tagesablauf: "Etwa 65 Prozent der Insassen arbeiten in Betrieben wie der Wäscherei, Schlosserei und Schreinerei." Pfarrer Kohn hat in seinem Büro und bei Besuchen in den Zellen ein offenes Ohr für die etwa 60 Prozent katholischen Insassen. Auch für die evangelischen und muslimischen Häftlinge gibt es geistliche Betreuung. Viele Inhaftierte haben nach langer Zeit wieder oder erstmals überhaupt Kontakt mit einem Priester. "Ich sage den Leuten dann: Auch wenn Sie 50 Jahre nicht mehr in der Kirche waren, hier sind sie willkommen", berichtet der 49-Jährige. Zwar können die Häftlinge an einem reichhaltigen Freizeit- und Sportprogramm teilnehmen und erhalten psychologische Betreuung, doch für viele ist der Gang zum Seelsorger eine wichtige Sache — nicht zuletzt, weil das, was sie ihm sagen, dem Beichtgeheimnis unterliegt. Wer dem Pfarrer Dinge anvertraut, die der Staatsanwalt besser nicht zu Ohren bekommen sollte, dem legt Kohn ans Herz: "Sie haben vielleicht die Justiz belogen, aber sich selbst können Sie nicht betrügen." Obwohl eine große Nähe zu vielen Insassen besteht, biedert sich Kohn niemals an. Wenn etwa ein Häftling seine Schuld herunterspielt und sagt: "Ich bin ja nur wegen Bankraubs hier", entgegnet ihm Kohn: "Das können Sie hier vergessen, darin sehe ich keine Bagatelle." Dann fragt er den Bankräuber, ob er einmal an die überfallenen Angestellten gedacht hat, die nachts mit Alpträumen aufwachen. "Da werden viele dann kleinlaut. Und was meinen Sie, wie viele harte Jungs hier schon geweint haben." Weinen — so etwas ist nur unter vier Augen möglich. Im Hof gäbe es dafür nur Hohn und Spott. Die Anliegen der Insassen, aber auch der Bediensteten, die jederzeit zu Ferdinand Kohn kommen können, sind vielfältig: Manche wollen ihre Sorgen und Ängste loswerden und eine Beichte ablegen, andere einfach nur ein Gespräch führen oder einen neuen Witz mit dem humorvollen Pfarrer austauschen. Zu den wöchentlichen Angeboten gehört neben Gesprächskreisen auch ein Gottesdienst in der Gefängniskapelle, dem einzigen Gebäude der Anstalt, dessen Fenster nicht vergittert sind. Jeden Freitag probt hier der "Chor der Gefangenen", der jedoch keine Opern von Verdi singt, sondern Kirchenlieder aus dem Gesangbuch "Gotteslob". Während der Gesangstunde herrscht ein freundlicher, offener und humorvoller Umgang, der einen die Tatsache, dass man sich hinter Gittern befindet, vergessen lässt. Organist Werner Schmitz, ein ehrenamtlicher Helfer aus Zemmer, verrät: "Am liebsten singen die Jungs im Advent ,Macht hoch die Tür, die Tor macht weit'." Ironie ist keine Seltenheit unter den Insassen. In der reichlich ausgestatteten Bibliothek klebt der Werbeaufkleber einer Kaffeemarke mit der Aufschrift "Ich bin so frei". Um die oftmals ungelernten Insassen auf ein geregeltes Leben nach der Haft vorzubereiten, rät Pfarrer Kohn ihnen eindringlich, einen Hauptschulabschluss oder eine Ausbildung zu machen. Den Erfolg seiner Arbeit kann er nicht in Zahlen messen — meist sind es die negativen Beispiele: rückfällig gewordene Straftäter, die mitunter zu Stammgästen werden. Doch bei vielen verändert sich während ihrer Haft die Einstellung zur Tat und zum früheren Leben. "Ich bereue heute auf jeden Fall, was ich getan habe", gibt ein Insasse im Gespräch zu. Das Foto seiner kleinen Tochter hängt an der Wand seiner kleinen Zelle, die nicht viel Luxus bietet. Pfarrer Kohn ist sich sicher: "Wenn sie einmal anfangen, sich Gedanken zu machen, dann können sie die Kurve kriegen." Michael Merten

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