"Eine gewaltige Aufgabe für alle": Vulkaneifel-Landrat Heinz-Peter Thiel über die Flüchtlingssituation

Daun · Knapp 1000 Tage amtiert Heinz-Peter Thiel als Landrat des Kreises Vulkaneifel. Auf politischer Ebene (Kreistag) hat er es geschafft, dass wieder ein vernünftiges Miteinander herrscht. Die von ihm geführte Verwaltung ist seit geraumer Zeit besonders gefordert wegen der Flüchtlinge (im vergangenen Jahr gut 700), die in den Kreis kommen.

 Landrat Heinz-Peter Thiel. TV-Foto: Klaus Kimmling

Landrat Heinz-Peter Thiel. TV-Foto: Klaus Kimmling

Foto: klaus kimmling (kik), Klaus Kimmling ("TV-Upload kimmling"

Daun. Die Kommunal- und Verwaltungsreform und die Flüchtlingssituation haben die Arbeit von Landrat Heinz-Peter Thiel im vergangenen Jahr maßgeblich geprägt. Im Gespräch mit dem Trierischen Volksfreund zieht er Bilanz und blickt voraus ins gerade begonnene neue Jahr 2016.

Herr Thiel, das Thema Flüchtlinge beschäftigt die Gesellschaft. Wir sehen Bilder von fast überbordender Gastfreundschaft, aber auch von brennenden Flüchtlingsunterkünften. Wie schätzen Sie die Stimmung im Kreis ein?
Heinz-Peter Thiel: Ich freue mich sehr, dass hier bei uns in der Vulkaneifel eine ausgeprägt positive Willkommenskultur gelebt wird. Der Schlüssel dafür ist aus meiner Sicht Kommunikation und Transparenz der Abläufe. Wir müssen die Bürger informieren, was die Verwaltungen tun, um die Flüchtlinge zu integrieren. Dazu gehört aber auch, dass darauf hingewiesen wird, dass Menschen ohne Bleibeperspektive freiwillig ausreisen und, wenn es gar nicht anders geht, auch abgeschoben werden.

Warum kommt es zu Vorfällen wie Brandanschläge auf Unterkünfte?
Thiel: Spannungen gibt es nach meiner Beobachtung dort, wo die Bevölkerung überhaupt keinen Kontakt zu Flüchtlingen hat und schlecht informiert ist. Ich habe keine Angst, dass solche Vorfälle bei uns passieren könnten. Wir werden dennoch Sorge tragen müssen, dass die gute Stimmung gegenüber den uns anvertrauten Menschen erhalten bleibt. Denn die großen Herausforderungen kommen ja erst noch.

Die Kanzlerin sagt: Wir schaffen das. Schaffen wir das, Herr Thiel?
Thiel: Ganz klar: ja! Gerade im ländlichen Bereich haben wir so viele Kapazitäten, was Wohnraum und Unterbringungsmöglichkeiten angeht. Viele Bürger beweisen schon seit geraumer Zeit durch ihr ehrenamtliches Engagement, dass es gelingt, im Zusammenspiel mit den Verwaltungen die uns anvertrauten Menschen vernünftig zu betreuen. Und ehrlicherweise muss man auch sagen: Wir werden es schaffen müssen, denn es gibt keine Alternative.

Kann der Kreis denn von den Flüchtlingen profitieren?
Thiel: Absolut. Die zehn bis 15 Prozent, die bei uns bleiben werden, um die werden wir noch werben müssen. Denn wir brauchen sie für unsere Schulen, Kindertagesstätten, für unsere Wirtschaft und für das Überleben unserer Dörfer. Die Gemeinschaftsaufgabe der Integration bringt meiner Beobachtung nach auch neue Belebung in die Ortschaften.

Aber stößt ein kleiner Kreis nicht an Grenzen der Belastbarkeit?
Thiel: Ich sehe es eher als Vorteil, dass wir ein kleiner Kreis sind. Verwaltungen arbeiten gut zusammen, weil man sich kennt. Unternehmen oder Vereine, Vulkaneifeler "wie du und ich" unterstützen sich auf Zuruf gegenseitig. Es gibt unzählige Beispiele, wie die Beförderung der Flüchtlinge oder die Einrichtung von Sprachkursen ermöglicht wurden. Toll, was hier geleistet wird!

Aber es läuft doch nicht alles reibungslos?
Thiel: Natürlich nicht, aber es ist auch eine gewaltige Aufgabe für alle, vor allem auch außerplanmäßige Zusatzbelastungen für die Verwaltungen. Wenn, wie zuletzt 55 nutzbare Wohnungen gefunden wurden, die aber nicht von jetzt auf gleich ausgestattet werden können. Wir haben Möbel, wir haben Küchenzeilen, aber es fehlen uns momentan noch die Hände, um alles aufzubauen.

Wie wollen Sie das ändern?
Thiel: Wir beraten beispielsweise über ein Konzept, an dem das Jobcenter beteiligt ist. Es betreut ja Leute, die gerne arbeiten würden. Diese Möglichkeit wollen wir ihnen bald bieten.

Was hat Priorität im Umgang mit den Flüchtlingen?
Thiel: Integration kann nur funktionieren, wenn die Menschen unsere Sprache lernen, damit sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Und wir müssen die Leute, die bleiben können, überzeugen, dass sie sich hier niederlassen. Denn, ich kann es gar nicht oft genug sagen: Wir brauchen sie!

Wie viele Flüchtlinge erwarten Sie für das gerade begonnene Jahr?
Thiel: Mit wie vielen Menschen wir rechnen müssen und wie lange die Situation anhält, käme einem Blick in die Glaskugel gleich.
Das können wir derzeit nicht abschätzen. Für uns steht zunächst einmal die Unterbringung der Menschen im Vordergrund, nicht die Kosten. Grundsätzlich gilt: Der Landkreis Vulkaneifel nimmt bis zu 1,5 Prozent der in Rheinland-Pfalz ankommenden Flüchtlinge auf. Wir gehen von 700 Menschen pro Jahr aus. Ein Schwerpunkt in diesem Jahr wird die Einrichtung neuer Jugendhilfemaßnahmen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge darstellen.

Zu einem ganz anderen Thema: die Kommunal- und Verwaltungsreform. Eine Zeit lang sah es so aus, als seien die Fronten geklärt: Der Großteil der Obere-Kyll-Gemeinden geht mit der VG Prüm zusammen und Gerolstein und Hillesheim fusionieren. Nun aber herrscht Stillstand: Die avisierte Bildung der neuen Verbandsgemeinden zum 1. Januar 2017 scheint auf Eis gelegt, oder?
Thiel: Grundsätzlich: Eine Kommunalreform ist erforderlich. Wir sind zu kleinteilig unterwegs, drehen uns teilweise um die eigene Achse, es gibt zu wenige kostenreduzierende und effizienzsteigernde Kooperationen in gemeinsamen Aufgabenstellungen. Allerdings sind Rahmenbedingungen der Landkreisgrenzen bindend. Ein nachvollziehbares Wunschdenken aus Prümer Sicht hebt Rechtslagen nicht auf und übersieht die vom Land gewollte und umsetztbare kreisinterne Fusionsmöglichkeit mit der VG Gerolstein. Eine Prümer Fusion mit Gemeinden der Oberen Kyll, also über Kreisgrenzen hinweg, ist aus unserer Sicht nach wie vor nicht umsetzbar, weil verfassungswidrig.

Die Auffassung hat das Land aber bislang nicht geteilt.
Thiel: Aber offenbar setzt sich unsere Rechtsauffassung immer mehr durch, der Verfassungsgerichtshof hat sie inzwischen bestätigt. Daher mein Appell: Jetzt sollte die Vernunft siegen. Es gilt, was an Potentialen noch verfügbar ist, nicht zu verschenken.

Was heißt das konkret?
Thiel: Beispielsweise 3,5 Millionen Euro an Zuschüssen, wenn eine starke VG im Kylltal entsteht. Gerolstein heißt nach wie vor alle Gemeinden willkommen, verbunden mit aus meiner Sicht einem echten Geschenk: ein Schuldenschnitt von bis zu 50 Prozent.

Aber dieses Angebot ist doch lange bekannt, oder? Trotzdem haben sich die meisten Orte an der Oberen Kyll für Prüm entschieden.
Thiel: Ich denke, an der Oberen Kyll ist nicht genug darüber informiert und diskutiert worden. Ich empfehle den Gemeinden dort, die sich bislang dagegen entschieden haben: sprecht mit Gerolstein.

Vielleicht haben alle Beteiligten nach dem ewigen Vor und Zurück keine Lust mehr auf einen neuen Anlauf. Sie wissen, wie viel Porzellan zerschlagen worden ist, auch durch das fragwürdige Vorgehen des Landes.
Thiel: Mit Ruhm hat sich in dieser Frage niemand bekleckert. Aber dennoch: Der Stillstand im Kylltal muss aufgebrochen werden. Jetzt zurück an den Verhandlungstisch und nicht auf eine mögliche Kreisreform warten, von der niemand weiß, ob, wie und wann sie kommt. An meiner Haltung hat sich jedenfalls nichts geändert: Ich habe und werde mich weiterhin für die Geschlossenheit des Kreises einsetzen.

Vielleicht finden Sie ja Unterstützung bei einer ab März CDU-geführten Landesregierung.
Thiel: Da ich kein Hellseher bin, bitte ich um Verständnis, dass ich keine Prognose zum Ausgang der Landtagswahl abgebe. Zur Wahl treiben mich andere Sorgen um: Wir brauchen keine politischen Eintagsfliegen, die plötzlich im Landtag sitzen. Konkret gesprochen: Populistische Positionen wie die der AfD brauchen wir nicht. Wir sollten unsere Grundwerte nicht in Frage stellen und auf verlässliche Programme setzen.

Sehen Sie eine Chance, dass der Kreis eine Kreisreform, wann immer sie auch kommen mag, "überlebt"?
Thiel: Wenn Größe nicht allein das entscheidende Kriterium ist, sondern Zukunftsfähigkeit, lautet meine Antwort: Mit selbstbewusstem Stolz auf jeden Fall.Extra

Heinz-Peter Thiel ist am 21. Dezember 1962 in Prüm geboren, aufgewachsen ist er in Willwerath bei Prüm. Der 53-Jährige ist verheiratet, hat zwei Kinder (Tochter und Sohn) und wohnt seit 1990 in Mürlenbach. Er wurde am 3. Dezember 2012 als parteiloser Kandidat zum Nachfolger von Heinz Onnertz (ebenfalls parteilos) zum Landrat des Vulkaneifelkreises gewählt. Zuvor war Thiel zehn Jahre Leiter der Polizeiinspektion in Daun. Das Amt des Landrats hat er am 1. April 2013 angetreten. sts

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