Weniger Stütze für mehr Jobs

BERLIN. Ein Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sorgt für neuen Zündstoff in der Kombilohn-Debatte.

Das vorgeschlagene Modell zielt auf einen verstärkten Zwang zur Arbeitsaufnahme. Dazu soll das Arbeitslosengeld II um 30 Prozent gekürzt werden. Im Gegenzug sind günstigere Hinzuverdienstregelungen sowie eine Reform der Mini- und Midi-Jobs vorgesehen. Auf diese Weise würde der Kombilohn flächendeckend wirken. Dadurch, so die Experten, könnten 350 000 neue Stellen für gering Qualifizierte entstehen Die Expertise im Auftrag der Bundesregierung soll am Freitag offiziell übergeben werden. Das Papier ist als Entscheidungshilfe zur Ausgestaltung eines Niedriglohnsektors gedacht, mit der sich eine hochkarätig besetzte Arbeitsgruppe der großen Koalition beschäftigen will. Zu den Akteuren gehören auch Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Beide Ressorts hielten sich gestern mit einer Stellungnahme bedeckt. Dagegen formiert sich in der SPD-Fraktion bereits offener Widerstand: "Die Absenkung des Regelsatzes beim Arbeitslosengeld II ist ein Irrweg", sagte ihr arbeitsmarktpolitischer Sprecher, Klaus Brandner, unserer Zeitung. Tatsache sei, dass es viel mehr arbeitswillige Interessenten gebe als vorhandene Jobs. "Die Rechnung, durch Leistungseinschränkungen mehr Beschäftigung zu schaffen, kann nicht aufgehen." Sozialbeiträge schon ab 200 Euro

In ihrem Gutachten hatten die Sachverständigen drauf verwiesen, dass die fehlenden regulären Stellen, mit denen die Betroffenen ihre staatlichen Transfers aufstocken könnten, vorübergehend durch eine Verdoppelung gemeinnütziger Job-Angebote ausgeglichen werden müssten. Positiv bewertete Brandner den Vorschlag zur Reform der geringfügigen Beschäftigung. Demnach sollen die steuerfreien und mit pauschalen Sozialabgaben belegten Mini-Jobs von 400 Euro auf 200 Euro gesenkt werden. Die Midi-Jobs würden also schon ab einem Bruttoverdienst von 200 Euro beginnen und bei 800 Euro enden. In diesem Korridor sollen ALG-II-Empfänger deutlich mehr von ihrem Hinzuverdienst behalten dürfen als bisher. Zudem würden die schrittweise steigenden Beitragssätze für die Sozialversicherung nicht mehr ab 400, sondern ab 200 Euro gelten. "Das bedeutet mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die wir brauchen", meinte Brandner. Den von den Sachverständigen prognostizierten Stellenzuwachs hält der SPD-Politiker allerdings für einen "Blick in die Glaskugel". Auch der Arbeitsmarktexperte der Union, Stefan Müller, warnte vor überzogenen Erwartungen, weil sie in Enttäuschung umschlagen könnten. "Das Modell der aktivierenden Sozialhilfe ist aber grundsätzlich richtig", sagte der CSU-Politiker unserer Zeitung. In einer großen Koalition sei die Kürzung des Arbeitslosengeldes II aber "politisch nicht zu verwirklichen". Bei ihren Konzepten zum Kombilohn hatten sich Union und SPD in den letzten Monaten angenähert. Wegen der hohen Kosten waren CDU und CSU von einem flächendeckenden Modell abgerückt. Umstritten ist nur noch der Personenkreis. Die Sozialdemokraten plädieren dafür, den Kombilohn für Arbeitslose ab dem 50. Lebensjahr zu nutzen. Die Union will auch jüngere Erwerbslose einbeziehen.

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