Wie aus Ökostrom Ärger wird

Berlin · Überall da, wo neue Stromleitungen geplant werden, legen sich die Bürger schnell quer. Die Proteste dürften zunehmen, wenn stimmt, was die Deutsche Energie Agentur (Dena) errechnen ließ: In den nächsten zehn Jahren müssen bis zu 3600 Kilometer neue Hochspannungsleitungen gebaut werden, um den Ökostrom an die Verbraucher zu bringen.

Die unter Leitung des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln erstellte Studie geht von ähnlichen Szenarien aus wie die Bundesregierung - also dem massiven Ausbau der Windenergie sowohl auf Nord- und Ostsee wie in Küstennähe an Land. Um den Ökostrom, der dann 39 Prozent der gesamten deutschen Stromerzeugung einnimmt, vom Entstehungsort zu den privaten und industriellen Abnehmern im Westen und Süden der Republik zu transportieren, müssen 3600 Kilometer neue Hochspannungsleitungen konventioneller Art gebaut werden. Kosten: 9,7 Milliarden Euro. Viel weniger, nur 1700 Kilometer neue Leitungen, wären nötig, wenn dabei spezielle Seile eingesetzt würden, die den Strom besser leiten. Allerdings muss dann auch ein Großteil des alten Netzes an diese Technik angepasst werden, was die Gesamtkosten auf 17 Milliarden Euro steigen lässt. Der einzelne Stromkunde würde freilich auch davon wenig spüren. Der Strompreis stiege bei der billigen Lösung laut Energieagentur nur um 0,2 Cent pro Kilowattstunde, bei der teuren um 0,5 Cent.

Auf diesen geringen Unterschied wiesen gestern in der ersten Reaktion die Grünen hin und betonten, dass gewisse Mehrkosten für einen menschen- und umweltfreundlichen Ausbau der Netze durchaus vertretbar seien. Grundsätzlich erkenne ihre Partei an, dass der Ausbau der Netze "richtig und wichtig" sei, sagte die Grünen-Abgeordnete Ingrid Nestle. Sie brachte zusätzlich zu den Spezialseilen auch eine "Teilverkabelung" ins Spiel, die die Dena nur am Rande untersucht hatte. Auch die Deutsche Umwelthilfe sprach sich dafür aus, die Erdkabel-Technologie zu forcieren. "So könnte die Akzeptanz der Neubautrassen vielerorts erheblich verbessert werden." Allerdings ist die Kabel-Technologie erheblich teurer und auf sehr langen Strecken schwer zu handhaben. Eine Komplettlösung für den zusätzlichen Leitungsbedarf mit Stromtunneln käme auf Kosten von über 50 Milliarden Euro.

Die Dena empfahl der Regierung, jetzt schnell in die "trassenscharfe" Planung zu gehen. Wie drängend das Problem ist, zeigt sich darin, dass von den 850 Kilometern neuen Fernleitungen, die die Dena in der ersten Studie im Jahr 2005 für die Zeit bis 2015 empfohlen hatte und die Gegenstand des "Energieleitungsausbaugesetzes" sind, bisher erst 90 Kilometer realisiert wurden. Diese 850 Kilometer setzt die Dena bei ihrer neuen Bedarfsanalyse als realisiert voraus.

In den vergangenen Jahren kam es wiederholt vor, dass Windräder wegen der Netzengpässe angehalten werden mussten.

Die Bundesregierung will im nächsten Jahr ein Konzept für ein "Zielnetz 2050" entwickeln, einen kurzfristigen Bundesnetzplan vorlegen und zugleich die Genehmigungsverfahren beschleunigen. Dann dürften die Proteste auch den Bundestag erreichen.

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