Geschichte Vier Geschichten, die die Welt bewegt haben

Bedeutende Staatsmänner, gefürchtete Terroristen und gefeierte Sportler – sie alle haben in der Eifel Geschichte geschrieben. Warum eine Punkband einen Song über Bitburg sang. Und warum Otto Schily acht europäische Politiker nach Prüm lockte.

                  „Terrorist

       stirbt den Märtyrertod“

Wittlich, 9. November 1974: Der Heidelberger Anwalt Siegfried Haag ist auf dem Weg zu seinem Mandanten. Der ist kein Geringerer als Holger Meins, ein Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF). Jener Gruppe von Linksradikalen, die die Bundesrepublik jahrelang mit Anschlägen in Atem halten. Ihr Ziel: Sie wollen eine Revolution der Bürger gegen den Staat auslösen, Regierung und Behörden von ehemaligen Nationalsozialisten befreien. Dabei schrecken sie auch vor Mord nicht zurück. Ein Anhänger der ersten Stunde ist der Filmemacher Holger Meins. 1974 sitzt er im Wittlicher Gefängnis.

Die Justizbeamten bringen ihn auf einer Trage ins Sprechzimmer. Die paar hundert Meter von seiner Zelle bis dorthin hätte er zu Fuß nicht mehr geschafft. Denn das wochenlange Hungern hat den Mann ausgezehrt.

Seit September weigert er sich zu essen, wird über einen Schlauch im Magen zwangsernährt. Doch die Kalorien reichen nicht, die Nadel der Waage fällt weiter. Es ist ein 58 Tage langer Protest gegen die Haftbedingungen in Wittlich. Auch RAF-Kopf  Andreas Baader hungert in einem Gefängnis in Stuttgart-Stammheim mit. Verhaftet wurden beide 1972 bei einer Schießerei in Frankfurt.

Zwei Jahre später ist der ehemalige Kameramann Meins selbst zum Sprechen zu schwach. Aus seinem Mund dringt nur noch ein Flüstern. 39 Kilogramm wiegt der 1,83 Meter große Meins bei seinem Treffen mit Haag. Es sollte sein letztes sein.

Wenige Stunden nach dem Besuch seines Anwalts stirbt der 33-Jährige und wird damit zu einem Märtyrer für die Linksradikalen im Land. Viele entschieden sich danach, in den Untergrund zu gehen, sich der RAF anzuschließen. Der ehemalige Terrorist Karl-Heinz Dellwo wird seinen Tod später als „Stunde der Wahrheit“ bezeichnen. Mittäter Volker Speitel sagt heute: „Der Tod von Holger Meins und der Entschluss, die Knarre in die Hand zu nehmen, war eins.“

Und so folgten weitere Anschläge, weitere Morde – zwei sogar im ausdrücklichen Namen des Verstorbenen. Die Täter, die 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm überfielen und dort bei einer Geiselnahme zwei Menschen töteten, bezeichneten sich selbst als „Kommando Holger Meins“.

Die Initialzündung für all diese Taten war wohl Holger Meins’ Hungertod in Wittlich. Er wird so zu einem tragischen, aber entscheidenden Moment in der Geschichte der Bundesrepublik. Einen weiteren gab es knapp zehn Jahre später.

               Zehn Minuten,

   die einen Skandal auslösten

Bitburg, 5. Mai 1985: Tausende Menschen stehen am Straßenrand. Sie warten auf den Cadillac mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Doch sie sind nicht hier, um ihm zuzujubeln. Die meisten sind gekommen, um gegen den Besuch des damals mächtigsten Mannes der Welt zu protestieren.

Wochen vor dem Termin gab es bereits Kritik an der Visite Reagans. Eigentlich hatte Altkanzler Helmut Kohl den Präsidenten eingeladen, um einen Akt der Versöhnung zu feiern: ein paar Kränze niederlegen auf dem Soldatenfriedhof Kolmeshöh, keine große Sache – könnte man meinen. Nur liegen in den Gräbern auch 49 tote SS-Soldaten.

Das Treffen wird vor allem von amerikanischen Medien als ein Versuch gesehen, die Nazi-Vergangenheit Deutschlands international wegzuwischen. Bitburg wird von US-Berichterstattern als „Nazi-Town“ bezeichnet. Die amerikanische Punkband Ramones widmet Reagans Besuch sogar einen eigenen Song namens „My brain is hanging upside down“. Sie werfen dem Präsidenten dort vor, sich „zum Hitlerjungen machen zu lassen“.

Auch Menschen jüdischen Glaubens fühlen sich von dem Besuch des Friedhofs angegriffen. Sie haben sich für diesen Anlass gelbe Judensterne auf die Brust geheftet. Zu einer Auseinandersetzung der Demonstranten mit der Polizei kommt es aber nicht.

Von all diesem Trubel bekommen Reagan und Kohl kaum etwas mit. Die Demonstration ist im Stadtzentrum. Auf dem Friedhof warten lediglich Dutzende Kamerateams und Journalisten, belagern jeden freien Platz um das Gräberfeld. Viel zu sehen bekommen sie nicht. Der  Akt, der ein so großes mediales und öffentliches Interesse erzeugt, dauert nicht länger als zehn Minuten. Die Staatsmänner legen am Turm die Kränze nieder, zwei Generäle geben sich die Hand. Das war’s.

                Von der Eifel

                   nach Paris

Gerolstein, 2. Juli, 2003: Es regnet in Strömen. Trotzdem sind Tausende gekommen. Sie wollen Autogramme und signierte Trikots von den Sportlern, die in so kurzer Zeit so Großes geleistet haben. 1997 gegründet, hat es das Team Gerolsteiner geschafft, sich für die Tour de France – das Radsport-Event schlechthin – zu qualifizieren. Für viele Eifeler ist es eine Sensation, dass die Sportler, die von der Firma Gerolsteiner Brunnen gesponsert werden, den Namen ihrer Heimatstadt bald in die ganze Welt tragen.

Am 2. Juli brechen sie als eine der letzten Gruppen zur Tour de France auf. Zuvor lassen sie sich von den Gerolsteinern aber noch ordentlich feiern:

„Udo, Udo, Udo“, schallt es aus dem Publikum. Sie feuern Radsportlegende Udo Bölts an, als er die Bühne betritt. Die Stadtsoldaten singen zwar nicht, aber sie spielen den Radlern ein Ständchen und feuern einige Kanonenschüsse ab. Ein Ladeninhaber hat seine Auslage mit Postern der Sportler dekoriert, ein Konditor einen riesigen Bilderkuchen gebacken. Bis nach 19 Uhr werden die Profis von Fans, Fotografen und Journalisten belagert. Danach geht es mit dem Helikopter nach Paris.

Was niemand ahnt: Es ist ein Höhenflug, der bereits fünf Jahre später vorbei sein wird. 2008 löst sich das Team Gerolsteiner auf – ein Dopingverdacht erhärtet sich, und der Sponsor steigt aus.

                   Ein Zufall

             führt nach Prüm

Prüm, 27. Mai 2005: Männer mit Sonnenbrillen huschen durch die Straßen Prüms. Tagelang beobachten sie Passanten. Es sind Beamte in Zivil, die sich hier so auffällig unauffällig verhalten. So ein Polizei-Aufgebot hat die Abteistadt noch nicht gesehen – und so ein Politiker-Aufgebot auch nicht.

Acht europäische Innen- und Justizminister sind in die Eifeler Kleinstadt gereist. Bald schon kreisen die Hubschrauber über den Straßen. Sie kommen aus den Niederlanden, aus Belgien, Österreich, Spanien, Luxemburg, Frankreich. Und natürlich sind auch die damaligen deutschen Minister Brigitte Zypries (Justiz) und Otto Schily (Innen) dabei.

Und wegen Schily haben sich die Politiker an diesem sonnigen Frühlingstag auch in Prüm versammelt. Denn der hatte da noch so eine Familiengeschichte zu klären: Der Urgroßonkel des ehemaligen Innenministers nämlich stammte aus Schönecken in der Verbandsgemeinde Prüm.

Schily erhoffte sich also in der Abteistadt, noch etwas über das „schwarze Schaf der Familie“ herauszufinden. Und deshalb wurde die Unterzeichnung der Verträge prompt nach Prüm verlagert. Zur Auswahl hätten auch noch Trier und Ouren in Belgien gestanden.

Doch um was geht’s überhaupt bei den Verträgen? Die Minister einigten sich, in Europa zukünftig gemeinsam auf Verbrecherjagd zu gehen. Ab 2003 arbeiten die Polizisten in den Ländern stärker zusammen. In die Geschichte wird das Dokument an diesem Tag als „Prümer Vertrag“ eingehen. Christian Altmayer

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