Kurzer Rausch, lange Reue

TRIER. Glitzernde Blicke, verführerische Masken, Musik, Alkohol und ausgelassene Stimmung - Fastnacht bietet "Reiz-volle" Rahmenbedingungen für die prickelnde Spannung eines Flirts. Nicht selten jedoch entfacht der knisternde Funkenflug ein außereheliches Liebesfeuer, dessen Spuren auch dann noch bleiben, wenn der Brand längst gelöscht ist.

"Ein Seitensprung entsteht aus der Sehnsucht, dem Leben und sich selbst näher zu kommen." Diesen Satz aus dem Mund der Psychotherapeutin Julia Omken zitiert Annebärbel Neurohr-Marquenie, Diplom-Psychologin bei der Lebensberatungsstelle der Caritas: "Darin steckt eine Parallele zu Fastnacht: Man feiert aus Lust am Leben und probiert sich unter dem Schutz der Maske selbst aus." "Es ist ein Spiel mit dem Reiz des Verbotenen", erläutert Diplom-Psychologin Birgit Wald aus Trier. "Da schlüpfen Frauen beispielsweise in die Rolle der frivolen Verführerin und lassen damit einen Impuls zu, der in ihrem Alltag keinen Platz hat. Einfach um auszuprobieren, ob das funktioniert." Nicht nur die Anonymität der Maskerade, auch die gesellschaftlich legitimierte Funktion der Fastnacht, einmal im Jahr über die Stränge schlagen zu dürfen, begünstigt Verstöße gegen Regeln, die in jeder Partnerschaft gelten. Eine entscheidende Rolle spielt der Alkohol: "Er enthemmt und mindert das Schamgefühl", sagt Birgit Wald. "Er dient auch als Entschuldigung für das eigene Verhalten", sagt Annebärbel Neurohr-Marquenie. Dennoch kommt es erst dann zum Äußersten, wenn in der Paarbeziehung schon vorher ein Mangel empfunden wurde. "Eine Beziehung ist wie eine Pflanze, die regelmäßig gegossen werden muss", sagt Birgit Wald. "Fehlt diese Pflege", weiß Neurohr-Marquenie, "dann funktioniert die Kommunikation über Worte und Körperlichkeit nicht mehr". Oft sei die Partnerschaft bestimmt durch Aufgaben wie etwa Kindererziehung, Hausbau oder Karriere, wobei sich die Partner mit ihren persönlichen Bedürfnissen aus den Augen verlören. "Mit der Dauer einer Beziehung nimmt in der Regel auch die gegenseitige erotische Anziehungskraft ab. Andere Werte treten in den Vordergrund", berichtet Birgit Wald. "Langeweile und unerfüllte sexuelle Bedürfnisse sind Haupttriebfedern dafür, das Prickeln bei jemand Neuem zu suchen". Es sei zu beobachten, dass die Hemmschwelle sinke, einen solchen Schritt zu wagen, sowohl bei Männern als auch Frauen. Der Preis für den kurzen Lustgewinn ist hoch: "Die Verbindlichkeit der Beziehung, das Vertrauen und das Selbstbewusstsein des Partners werden nachhaltig erschüttert. Es wird gefragt: Warum, weshalb jetzt und mit ihm/ihr? Bin ich austauschbar? Was hat die/der andere mir voraus?", formuliert Annebärbel Neurohr-Marquenie. Sicherheit und Vertrauen seien nur schwer wieder herzustellen, deshalb rieten manche Therapeuten von Offenheit um jeden Preis dann ab, wenn der Seitensprung einmalig gewesen sei. Respektvolle Aufrichtigkeit hingegen sei nötig, wenn sich die Außenbeziehung länger entwickelt habe und das Paar gemeinsam an der Bewältigung der Situation arbeiten wolle. Neurohr-Marquenie: "Ein Ansatz in der Paarberatung lautet: Wie können wir das, was der/die andere außen lebt in die Beziehung integrieren." Wald: "Dann wird analysiert, was der Partnerschaft fehlt und was gebraucht wird, um wieder Spannung hinein zu bringen. Oft merken Paare erst in der Therapie, dass sie sich gegenseitig immer nur kritisiert statt wertgeschätzt, nie über ihre persönlichen Wünsche oder ihre Vorstellungen von Treue geredet und sich viel zu selbstverständlich betrachtet haben." Begegneten sich die Partner von Anfang an mit Aufmerksamkeit, Hingabe und Verantwortungsgefühl und sprächen regelmäßig über ihre Bedürfnisse und Erwartungen, sinke die Anfälligkeit für einen Seitensprung deutlich.

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