Der Geist des Ortes

Artmix II: Ein grenzüberschreitender Künstleraustausch in Saarburg an historschen Orten.

Unten rauscht der Wasserfall. Oben unterm Dach hat eine junge Frau die blonden Locken über die Häkelnadel gesenkt. Den goldenen Faden um ihren Zeigefinger fügt Manuela Osterburg Masche an Masche zu niedlichen Krönchen. Vor ihr auf dem Tisch liegen noch mehr Knäuel aus Häkelwolle, die allesamt darauf warten, in genauso klitzekleine rosa und himmelblaue Teilchen verarbeitet zu werden. Während sich der Tisch füllt, schneidet nebenan am Fenster eine andere junge Frau zarte Spitzen in eine Linoleumplatte. Die dunklen Haare fallen Diane Jodes ins Gesicht. Sanft wippen die Perlen in ihren Ohren, wenn sie den Kopf dreht. Draußen vor dem Fenster hängt ein blonder Zopf die Mauer hinunter. Wie hieß das doch im Märchen: "Rapunzel, lass Dein Haar herunter". Freilich: Hier im Saarburger Amüseum, wohin der zauberhafte Anblick gehört, klettert keine Zauberin an der Haarleiter die Mauer hinauf. Das "Turmgemach" im historischen Gebäude über dem rauschenden Wasser ist ganz bequem über ein Treppenhaus zu erreichen, und weder mit Feen noch mit Prinzen ist zu rechnen. Lediglich ganz normale Leute kommen hier vorbei, ein paar Museumsbesucher, die sich im Haus verirrt haben, Journalisten oder die Veranstalter der Artmix II. Zu der gehört nämlich die Idylle in der Saarburger Altstadt. Gäste des gleichnamigen internationalen Künstleraustausches sind die Saarbrücker Objektkünstlerin Manuela Osterburg und ihre Luxemburger Kollegin Diane Jodes. Mit vier anderen Künstlern sind sie eingeladen, an historischen Orten in Saarburg für drei Wochen ein Atelier zu beziehen und dort zu arbeiten. Ausgerichtet wird das jährliche Treffen als Gemeinschaftsaktion des Landes Luxemburg mit den Städten Saarbrücken und Saarburg. Taschengeld für die Künstler

Zum zweiten Mal findet Artmix in diesem Jahr statt. "Wir wollen eine gemeinschaftliche grenzüberschreitende Kunstinitiative schaffen, die Bestand hat", sagt Claudine Hemmer vom Luxemburger Kulturministerium. Weshalb für sie und ihre Kollegin Danièle Kohn-Stoffels auch klar ist: "Die Kosten müssen sich für die drei Mitglieder der Initiative in einer Größenordnung halten, die auch in Zukunft aufgebracht werden kann". Im Klartext der Zahlen heißt das: der Aufwand soll 800 000 Euro nicht überschreiten. Wovon die sechs Künstler drei Wochen beherbergt und mit einem Taschengeld versehen werden. Um nachhaltige Förderung und dauerhafte Zusammenarbeit gerade zwischen kleinen Häusern geht es auch Anette Barth, der Kulturbeauftragten der Stadt Saarburg. "Uns ist wichtig, dass sich hier Strukturen etablieren, die auch ohne unsere Hilfe bestehen können", sagt die promovierte Kunsthistorikerin. Dass noch immer dringender Nachholbedarf im grenzüberschreitenden nachbarlichen Miteinander besteht, bestätigt Kohn-Stoffels. "Mir macht das richtig Spaß, in so einer schnuckeligen Stadt zu arbeiten", freut sich Manuela Osterburg. Wie "schnuckelig" und schön ihre Heimatstadt ist, darüber will die Konzeptkünstlerin mit den Saarburgern ins Gespräch kommen. Ihre Krönchen und Häkelteile sollen dabei helfen. "Im Alltag wird das oft nicht mehr wahrgenommen", weiß Osterburg. Märchenhaft findet Diane Jodes die Altstadt. Auch sie will den Geist des Ortes aufarbeiten. Beim Blick auf Burg und Wasser kam ihr die sagenhafte Melusine in den Sinn. Weshalb die Grafikerin, die sich bereits andernorts mit "Wasserjungfrauen" beschäftigt hat, schon mal einen Fischschwanz in eine Platte radiert hat, der zusammen mit Spitzenmuster und Krönchen aussieht wie die Zutaten fürs Märchenbuch. Übrigens ganz so weit ist der Prinz aus dem Märchen nicht, und grenzüberschreitenden Austausch gab es hier auch immer schon. Hoch über der Stadt grüßt die Saarburg. Graf Siegfried von Luxemburg hatte sie 954 erbaut. "Siggi" nannten ihn seine einstigen Untertanen, auch die beiden Künstlerinnen haben "Siggi" ins Herz geschlossen. "Inspiriert" vom Ort ist auch "Cordue", die mit bürgerlichem Namen Cordula von Heymann heißt. Die Hackenberger Mühle tief unten am Wasser ist für die nächsten Wochen ihr Atelier. Die Saarburger Künstlerin hat ihr derzeitiges Kunstdomizil geradezu im Blut. Cordues Vater war Historiker, der Großvater Bäcker. Schon oft hat sie sich mit historischen Themen befasst. In den nächsten drei Wochen soll es bei ihr (ortsgerecht) um Brot und Wasser gehen. Das Artmix Projekt findet Cordue richtig gut. "Ich habe schon jede Menge Verbindungen geknüpft". Im Raum nebenan hat sich der Luxemburger Maler De Rog mit seinen abstrakten Arbeiten niedergelassen. Auch Igor Michailow und Joan Thimmel haben an einem Ort, der es in sich hat, Quartier bezogen. Die Rede ist von der einstigen Glockengießerei der Familie Mabilon. Michailow, der Russe mit den georgischen Vorfahren, ist fasziniert von der Ausstrahlung der alten Anlage. "Ich bin begeistert von diesem einzigartigen Ort", schwärmt der Saarbrücker Maler. Auch Michailows "Mitbewohner", der Bildhauer Thimmel, fühlt sich zwischen Klöppelreihen, Gussformen und alten Werkzeugen wohl. Eigentlich ist hier alles Skulptur, stellt der kleine grauhaarige Mann mit dem schwärmerischen Blick fest. Zwei Holzscheiben hat der gebürtige Rumäne, der in Perl und Saarburg lebt schon als halbe Glockenformen geschnitten. Die sanften Rundungen eines langen Brettes erinnern an die Formen einer Frau. "Noch bleibt viel zu tun. Ende Oktober wird der Austausch mit einer Ausstellung abgeschlossen. Den Katalog dazu müssen die Künstler selbst gestalten. "Das gehört zu den Bedingungen", sagt Claudine Hemmer. Eva-Maria Reuther Informationen

Ausstellung 25.Oktober bis 19.November in den Ateliers. - Eröffnung: 25. Oktober 19 Uhr, Glockengießerei Mabilon, anschließend Besuch der anderen Ateliers. Weitere Informationen unter Telefon 06581/ 994642

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