Bangemachen gilt nicht! Auch im Winter werden Flüchtlinge kommen - na und?

Muss uns in Deutschland angst und bange werden? Angesichts der Äußerungen einiger Politiker könnte der Eindruck entstehen. Es ist tatsächlich eine Belastungsprobe, die diese massenhafte Flucht vor Krieg und Perspektivlosigkeit für dieses Land und ihre Menschen bedeutet.

Warnungen vor einer neuen Völkerwanderung gab es zwar schon vor Jahren. Allerdings war damals der Blick in Richtung Afrika gerichtet. Mit dem Meer als wirksame Barriere schien Europa einigermaßen sicher vor einem massenhaften Ansturm verzweifelter Menschen. Besonders Deutschland und seine Regierungen wähnten sich angesichts der zentralen Lage sicher. Schließlich regelte die Dublin-Verordnung, dass bis auf wenige Ausnahmen immer die Länder für das Asylverfahren zuständig sind, auf deren Boden Flüchtlinge zuerst ihren Fuß setzen. So schafften es nur wenige Menschen bis in die Mitte Europas.

Die Kriege im Irak und vor allem in Syrien haben dieses falsche Gefühl von Sicherheit ausgehebelt. Massenhaft machen sich die Menschen von dort und aus den trostlosen Flüchtlingslagern am Rande der Türkei auf den Weg. Begonnen hat das bereits im vergangenen Jahr - die krankgeschrumpften Behörden wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wurden mit einer Flut von Asylanträgen überschwemmt, die aus Sicht des Amtes inzwischen zu einer Sintflut angeschwollen ist.

Die Politik, auf Bundes- wie auf Landesebene, reagierte nur langsam. Drastisch steigende Flüchtlingszahlen haben inzwischen - endlich - die Behäbigkeit aus den Amtsstuben gefegt. Kreativität und Mut zu neuen Dingen beginnen auch dort zu greifen, wo überbordende Bürokratie bislang wie ein lähmendes Netz schnelles Handeln verhinderte.

Das ist dringend geboten, da die alte Gewissheit einer Entspannung im Winter sich nicht mehr erfüllen wird. Bislang sorgten Kälte und Sturm stets dafür, dass sich dann weniger Menschen auf den gefährlichen Seeweg nach Europa machen. Das mag für Afrika gelten. Wie flexibel die Menschen inzwischen ihre Routen über den Balkan planen, haben die vergangenen Wochen gezeigt.

Tatsächlich wird die Türkei eine noch wichtigere Rolle im europäischen Migrantenpoker einnehmen. Schon jetzt beherbergt kein anderes Land so viele Menschen aus Syrien. Viele Länder in Europa wollen, dass das auch so bleibt und an der Grenze zu Syrien noch mehr Auffanglager entstehen. Staatspräsident Erdogan wird sich das teuer bezahlen lassen.

So stellt sich die Frage, ob Deutschland tatsächlich bis zu 1,5 Millionen Flüchtlinge in diesem Jahr verkraften könnte? Einfach würde das nicht. Und dennoch ist schon der Gedanke daran unerträglich, dass dieses Land seine Grenzen dichtmacht. Es darf keine Mauer mehr geben in Deutschland, auch nicht virtuell. Panik zu erzeugen, um die Hoheitsgewalt über die Stammtische zu gewinnen, ist ein Spiel mit dem Feuer. Wer das schürt, trägt tatsächlich dazu bei, die überwiegend positive Stimmung in der Bevölkerung kippen zu lassen.

Muss uns in Deutschland angesichts der vielen Flüchtlinge angst und bange werden? Nein! Die Menschen in diesem Land haben schon größere Herausforderungen gemeistert. Bangemachen gilt nicht!
r.neubert@volksfreund.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort