Forum Das N-Wort? Oh je, weg mit dem Kerl!

Der Journalist Donald McNeil musste die liberale New York Times nach 45 Jahren verlassen, weil er das N-Wort zitiert hat. Und jetzt? Besser schweigen? Nein!

 Peter Reinhart

Peter Reinhart

Foto: TV/Klaus Kimmling

So. Zeit für eine Provokation. Der Begriff „Rasse“ wird aus dem Grundgesetz gestrichen, hat die Groko in Berlin dieser Tage beschlossen. Künftig soll in Artikel 3 der Verfassung stattdessen ein Verbot von Diskriminierung „aus rassistischen Gründen“ stehen. Das ist okay. Es gibt – biologisch, genetisch – keine unterschiedlichen Rassen. Wir sind Menschen. Weiße, Braune, Schwarze, Gelbe, Grüne, Blaue. Es gibt aber Rassismus, und der verschwindet nicht einfach, wenn ein politisch nicht korrektes Wort weg ist. Also ist darüber zu sprechen, zu schreiben, zu streiten.

Darf ich das? Über Rassismus sprechen, schreiben, streiten? Mal weg von der Jetztzeit. Sagen wir, über Rassismus in der Literatur. Zum Beispiel bei Jack London (1876-1916), Abenteuerschriftsteller und Journalist, zu Lebzeiten der erfolgreichste Autor der Welt. Eine Passage aus seiner Südsee-Erzählung „Ein Sohn der Sonne“ (1912), Zitat Anfang: „Vorn an Deck waren ein Dutzend Schwarze eifrig beschäftigt, die Teakholzreling abzuschrubben. Sie benahmen sich dabei so ungeschickt wie Affen. Tatsächlich erinnerten sie stark an Affen von irgendeiner prähistorischen Art. In ihren Augen lag die jammervolle Kläglichkeit des Affen, ihre Gesichter waren sogar noch unsymmetrischer, und mit ihren unbehaarten Körpern wirkten sie noch nackter als Affen, denn sie waren gänzlich unbekleidet.“ Zitat Ende.

Pfui, Mr. London! Übelst rassistisch! Das ist meine Meinung. Darf ich dazu eine Meinung haben? Manche sagen: Nein, dir fehlt die Betroffenheitsperspektive, du bist keine POC (Person of Color), du wirst nicht wegen deiner Hautfarbe unterdrückt, du hast  keine Ahnung und gefälligst zu schweigen. Und: Nein, du darfst es nicht einmal zitieren. Cancel Culture – das Denken, das Vokabular des Herrenmenschentums gehört aus der Kulturgeschichte getilgt.

Hmm. Es ist nicht erlaubt zu kritisieren, dass Jack London in seinen Texten oft das Wort – Achtung, ich zitiere wieder – „Nigger“ verwendet hat? Wohin führt das? Was ist das für ein Kulturkampf, der über die Sprache ausgefochten wird?

Krasse Auswüchse der Identitätspolitik sind gegenwärtig in den Vereinigten Staaten zu besichtigen. Donald McNeil, ein bis dato angesehener Wissenschaftsjournalist, musste die liberale (!) New York Times nach 45 Jahren (!) verlassen, weil er das N-Wort zitiert (!) hat. Nicht in der Zeitung, sondern in einer privaten Runde. Der Mann ist offensichtlich kein Rassist. Er hat mit jungen Leuten über Rassismus diskutiert. Und das getan, was ich mit dem Beispiel aus der Literatur getan habe: das N-Wort zitiert.

Merke: Bestimmte Sachen sagst du besser nicht, sonst dräut, mindestens, ein Shitstorm. Das läuft auf Selbstzensur hinaus. Was meinen Sie, liebe Leserin, lieber Leser?

Bleiben Sie munter!

Peter Reinhart

Stellvertretender Chefredakteur

E-Mail: forum@volksfreund.de

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