Müssen wir alle Traditionen dem Kommerz opfern?

Gesellschaft

Zu unseren Berichten "Oktoberfest schon in der Fastenzeit" und "O'zapft is! Aber warum nur?" (TV vom 10. April):
Im Laufe eines Jahres gibt es, ich nenne sie Hangelpunkte, Ereignisse, mit denen man sich durchs Jahr "hangelt".
Zuerst kommt "ein frohes neues Jahr", dann Helau und Alaaf, der langersehnte Frühling, kurz vor Ostern die Spargelsaison, anschließend "frohe Ostern", der Sommer mit all seinen Annehmlichkeiten (Urlaub, Grillen, Schwimmen, Fahrrad- und Motorradfahren), danach der Herbst mit frischem Obst und der Traubenlese mit dem Federweißen und Zwiebelkuchen und den Oktoberfesten allerorts.
Zum Abschluss kommen dann der Nikolaus und "frohe Weihnachten", bevor es wieder von Neuem losgeht. So seit Menschengedenken.
Dass noch in der Weihnachtszeit die Fastnachtsartikel und schon im Urlaub (August/September) die Weihnachtsschnackereien in den Supermärkten auftauchen, und dass man die Ostereier im ganzen Jahr als Partyeier kaufen kann, daran haben wir uns anscheinend unter jährlichem Protest gewöhnt. Viele beschweren sich darüber, aber es wird gekauft wie wild.
Jetzt kommt im April (!) ein Oktoberfest, groß in der Zeitung mit einem gefeierten Mann, der es fertig brachte, eine ganze Maß auf einen Zug auszutrinken, welch eine nachahmungswürdige Leistung.
Dieser Tage musste ich im Radio eine Meldung hören, dass in der Pfalz ein findiger Winzer den ganzjährigen Federweißen erfunden hat.
Ich möchte nicht als Miesepeter gelten, frage mich aber allen Ernstes, wo das alles hinführen soll. Müssen wir alle "Hangelpunkte" und Traditionen, die über Generationen Bestand hatten, dem Kommerz opfern? Wenn wir alles im Laufe eines Jahres haben können, wird unser Leben arm, öde und langweilig - und wir leben ohne Reize und Erwartungen.
Ich warte noch auf den "Erfinder", der einen genmanipulierten Ganzjahresspargel auf den Markt bringt, und dass wir jeden Monat mit "einen frohen neuen Monat!" begrüßen.
. Wolfgang Schlick, Ayl-Biebelhausen

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