Tapetenwechsel gegen den Schmerz - Reisen für Trauernde

Hannover (dpa/tmn) · Einen Angehörigen zu verlieren schmerzt. Manchmal hilft ein Tapetenwechsel, um mit der Trauer besser fertig zu werden. Einfach Urlaub in der Sonne zu buchen, funktioniert aber oft nicht. Eine Alternative können Reisen mit anderen Trauernden sein.

 Auf andere Gedanken kommen - das sollen Trauernde bei den „Reisen ins Leben“ der Tui etwa auf Madeira. Foto: Tui Deutschland

Auf andere Gedanken kommen - das sollen Trauernde bei den „Reisen ins Leben“ der Tui etwa auf Madeira. Foto: Tui Deutschland

Irmgard Beuse ist viel unterwegs. Von den ersten sechs Monaten des Jahres war sie drei nicht zu Hause. Im Oktober geht es wieder nach Andalusien. Reisen ist gewissermaßen Beuses Beruf. Doch unterwegs ist sie ausschließlich mit Menschen, die nicht automatisch in Stimmung für Urlaubsfreuden sind: Menschen, die ihren Partner verloren haben oder einen anderen Angehörigen. Es geht zehn Tage in die Toskana oder acht nach Ischia. Re-Bo-Reisen , der Veranstalter, den Beuse zusammen mit ihrer Schwester Hildegard Peters gegründet hat, ist spezialisiert auf Touren für Trauernde.

Wer einen Angehörigen verloren hat, trauert oft viele Monate. Der Austausch mit anderen, denen es auch so geht, kann dann hilfreich sein - manchmal auch der gemeinsame Urlaub. Die passenden Pauschalangebote mit Begleitung durch ausgebildete Trauerbegleiter gibt es längst - nicht nur bei Irmgard Beuse. Das sei allerdings nur eine kleine Nische im Reisemarkt, sagt Sibylle Zeuch vom Deutschen Reiseverband (DRV). „Und das wird auch so bleiben.“

Der entscheidende Vorteil solcher Angebote sei die Chance, mit Menschen zu verreisen, die genau wissen, wie es einem geht, sagt Ulla Steger. „Durchs Reisen kommen immer Impulse von außen. Man lernt ein neues Land kennen und neue Leute.“ Schon das könne hilfreich sein, erklärt die Psychologin und Psychotherapeutin aus Düsseldorf.

Aber wer einfach so in den Urlaub fährt, kann sich unter den anderen Touristen oft sehr unglücklich fühlen: „Ich hatte eine Patientin, deren Sohn mit 21 Jahren gestorben war“, erzählt Steger. „Sie und ihr Mann haben dann Urlaub auf einem Kreuzfahrtschiff gemacht, wo alle anderen fröhlich waren. Da ging es ihnen richtig schlecht.“ Eine Reise mit Menschen, die auch einen Angehörigen verloren haben, sei deshalb die bessere Alternative.

Irmgard Beuse bietet seit 2007 solche Reisen an. Wie es ist, plötzlich den Partner zu verlieren, wusste sie da nur zu gut: Zwei Jahre zuvor war ihr Mann gestorben. Aus dem Gesprächskreis für Trauernde, dem sie sich angeschlossen hatte, kam die Anregung, doch mal eine Reise zu organisieren - schließlich hatte Beuse 30 Jahre lang ein Reisebüro geführt. „Ich staune immer noch über die Resonanz“, sagt die 75-Jährige. „Wir hätten nie gedacht, dass es so viele einsame und traurige Menschen gibt.“

Für manche Teilnehmer ist es der erste Urlaub seit Langem: „Eine Frau hat sich jetzt angemeldet, deren Mann hatte Parkinson und Demenz. Sie hat ihn zehn Jahre lang gepflegt und ist da gar nicht vor die Tür gekommen“, erzählt Beuse. „Das muss die erstmal wieder lernen.“

Marktführer Tui hat seit 2010 ein ähnliches Angebot im Programm. „Reisen ins Leben“ heißt es. Der Tourismuskonzern arbeitet dafür mit der Trauerakademie von Fritz Roth zusammen. Wie bei Re-Bo-Reisen sind immer Trauerbegleiter mit dabei, die den Teilnehmern als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. „Es gibt tägliche Gesprächskreise“, sagt Carsten Cossmann, der bei der Tui für die Markteinführung verantwortlich war. „Aber sie sind fakultativ“ - niemand muss sich daran beteiligen, wenn er nicht will.

Betriebswirtschaftlich ist das Angebot für Tui nicht der große Renner: Die Zahl der Buchungen steigt langsamer als erwartet. „Wir werden damit nie reich werden“, sagt Cossmann. „Aber es ist trotzdem eine sinnvolle Geschichte.“

Das Programm von Re-Bo-Reisen soll weiter wachsen - von zehn Reisen in diesem auf zwölf im nächsten Jahr. „Das ist dann die Obergrenze.“ Eine Tour in die Antarktis würde Irma Beuse gerne mal organisieren. „Wenn ich ganz mutig bin - ich weiß ja nicht, wie lange ich das noch kann.“ Beuse denkt jedenfalls nicht ans Aufhören: „Ich werde 90 und dann falle ich tot um. Das ist mein Deal.“

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